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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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echter Nahrung stürzte, als wäre ich dem Verschmachten nahe. Die großzügig bemessene Ration von erstklassigen Nutrapillen reichte nicht einmal annähernd aus, meinen enormen Appetit zu befriedigen. Am fünften Tag meines Aufenthalts in diesen geheiligten Mauern hatte der Heißhunger alle Hemmungen ausgeräumt, und ich brach des Nachts zu heimlichen Raubzügen auf, um mich aus der Kantine zu versorgen. Ich beschränkte mich auf in großen Mengen vorhandene Artikel, deren Reduzierung unbemerkt bleiben würde, und verstaute die Beute in meinem Habit, den ich vor dem Leib zu einer Art Beutel zusammenraffte. Während meine Gebieter den Schlaf des Gerechten schliefen, schlemmte ich in meiner Zelle bis zum frühen Morgen und delektierte mich an solchen Schleckereien wie Traubensaftkonzentrat, Dosenbohnen, gefrorenen Bouletten, genetisch veredeltem Gemüse, Ravioli, Mohrenköpfen, Baguettes, Truthahnragout und vielem anderen – eine kalte, aber herzhafte Mahlzeit.
    Dank meiner neuen Konditionierung wußte ich um die Sündhaftigkeit meines Tuns, also betete ich jeden Morgen um Vergebung, aber die Gebete halfen weder gegen den Hunger noch gegen den Drang, ihn zu stillen. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, daß ich dicker wurde, hauptsächlich um Hüften und Taille, aber auch an Brüsten und Schenkeln. Ich beschloß zu fasten. Der löbliche Vorsatz hielt einen Tag, dann geriet er unter dem Ansturm des beißenden Hungers ins Wanken und wurde zunichte gemacht durch die listige Erkenntnis, daß der Habit meine Leibesfülle vollständig kaschierte. Ich fühlte mich zu immer dreisteren Plünderungen ermutigt. Mein Magen schien ein von mir unabhängiges Lebewesen zu sein und gebärdete sich unersättlich, wie große Mengen ich auch in mich hineinstopfte, um ihn zufriedenzustellen. Ich war ein Vielfraß, eine Heuchlerin und eine Diebin, und als wäre das nicht genug, hegte ich auch noch wollüstige Gedanken, für die ich nicht einmal durch die Beichte Vergebung erlangen konnte, denn ich war kein Mensch und mußte selbst sehen, wie ich zurechtkam. Und verdammt will ich sein, wenn sie mir nicht Vergnügen bereiteten, soll heißen Qualen oder vielmehr Schuldgefühle, denn das Programm, dessen Inhalt ich pflichtbewußt meinen jugendlichen Schützlingen im Klassenzimmer vermittelte, verurteilte solche Gedanken als ebenso fluchwürdig wie den Akt selbst, den ich – nebenbei bemerkt – schmerzlich vermißte.
    Ob nun die Gefräßigkeit der Wollust entsprang oder andersherum, das wußte ich nicht, aber es bestand zwischen beiden ein Zusammenhang, und beide ließen sich nicht zügeln. Ich begann in ausschweifenden pornographischen Phantasien zu schwelgen, einem Mischmasch aus meinen Erlebnissen mit dem jungen Herrn Tad und dem mir einprogrammierten Mythos von der Braut Christi. So wurden Lasterhaftigkeit und Blasphemie meinem Sündenregister angefügt. Je gefestigter meine Schüler in den Regeln des Glaubens wurden, desto weniger eignete sich ihre geistige Mentorin als leuchtendes Beispiel. Meine Verderbtheit war so weit fortgeschritten, daß ich glaubte, wenn nur noch einmal jener Komet meinen Leib entzündete, wäre ich geheilt. So aber half ich mir in meiner Not, indem ich eine noch abscheulichere Sünde beging und selbst Hand an mich legte – es war eine andere Form der Nahrung, und mich verlangte sehr nach Sättigung. Wäre es nur eine wirkliche Erleichterung gewesen, statt flüchtiger Augenblicke der Lust; unbefriedigender, im Dunkel der Nacht gestohlener Genuß, wie all die Pakete mit Fertigbackmischungen.
    Wo sonst konnte ich Hilfe finden? Die Beichte kam für mich nicht in Frage, an die Krankenpflegerin des Klosters konnte ich mich nicht wenden; Appelle an die höheren Autoritäten, Gott und den Chef, blieben unbeantwortet, und wenn ich bei mir selber Rat suchte, kamen mir die Tränen. Ich konnte der Tatsache nicht ins Auge sehen, daß ich fett war und täglich fetter wurde. Kein Priester, keine Nonne würde mich haben wollen. Ich hatte sogar ein Doppelkinn bekommen!
    Nach zwei Monaten im Kloster war ich so unförmig, daß ich mich nur mühsam fortbewegen konnte, und obwohl ich getreulich meine Pflichten erfüllte und mir auch sonst kein einziger Ausrutscher unterlief, sorgte meine äußere Erscheinung für reichlich Gesprächsstoff. Köpfe drehten sich, wenn ich den Flur entlangging oder wenn ich mich beim Gottesdienst in die engen Bankreihen zwängte. Im Klassenzimmer wurden hinter meinem Rücken boshafte Bemerkungen

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