Mein Leben als Androidin
er vor, daß ich ihn in einer nächsten Zwischenphase besuchen sollte; seine Kabine war leicht zu finden, der Name stand an der Tür. Dann stieg er mit federnden Schritten, die an den draufgängerischen Detektiv erinnerten, die Treppe empor und verschwand in den Schatten. »Er hat schon Charisma, das läßt sich nicht leugnen«, dachte ich und spürte, wie ein Lächeln über mein Gesicht zog.
Kapitel drei
Ich hatte nicht unter Beschäftigungsmangel zu leiden, also verging die Zeit wie im Fluge – Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre. Wie konnte ich das wissen, an einem solchen Ort? Nach jedem Engagement (immer noch Komparserie) ging ich zu Lances Etage hinauf, doch fand ich seine Kabine stets leer. Ich blieb ein oder zwei Stunden und wartete auf seine Rückkehr, ließ es mir auf seiner Doppelbettmatratze wohl sein oder probierte vor dem kleinen Rasierspiegel an der Trennwand zur nächsten Kabine neue Frisuren aus. Hin und wieder vertauschte ich zum Spaß meinen Arbeitskittel mit seinem etliche Nummern zu großen Bademantel und lutschte seine Pfefferminzpastillen, denn solche Vergünstigungen gab es bei uns unten nicht. Und manchmal, wenn die Langeweile unerträglich wurde und ich mich in einer launischen Stimmung befand, versuchte ich die Stars nebenan aufzuwecken, damit sie mir Gesellschaft leisteten. Ich kitzelte, zwickte, knuffte und küßte sie, ohne Erfolg, und schlüpfte endlich zu ihnen unter die Decken, denn es war immer einige Grad zu kühl in den Stallungen. Bei einer dieser Gelegenheiten, während ich mit seiner Nachbarin im Bett lag – einer berühmten Darstellerin, die ungenannt bleiben soll; sie spielte die junge Maggie in dem berühmten historischen Stück Die eiserne Lady –, hörte ich ihn in seine Kabine zurückkehren. Leider befand er sich in einer Art schlafwandlerischer Betäubung, denn hinter ihm lag die anstrengendste seiner zahllosen Reinkarnationen: vor Ort, als Führer eines NASA-Einsatzkommandos auf dem Mars, in einem aktionsgeladenen Kostümfilm über die anfänglichen Kriege zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion um die Schätze des roten Planeten – alte, gegnerische Machtblöcke der Erde, längst absorbiert von den interplanetaren Interessengruppen und an Einfluß überflügelt von der TWAC. Er war so erschöpft, daß er mich gar nicht wahrnahm, und noch viel weniger merkte er, daß ich bei seiner Nachbarin im Bett gelegen hatte. Also stopfte ich ihn in sein eigenes Bett und kehrte dann in mein Stockwerk zurück, um nicht etwa einen Aufruf zu verpassen, denn dieser Besuch hatte länger gedauert als sonst. Gleich nach meinem nächsten Statistenauftritt ging ich wieder zu ihm und fand ihn im Bett sitzend, immer noch mitgenommen, aber begierig, seine Erlebnisse Revue passieren zu lassen. Wie ich befürchtet hatte, erwies es sich als notwendig, ihn an mich und unsere Begegnung zu erinnern, denn er hatte alles vergessen.
»O ja, jetzt entsinne ich mich«, sagte er, nachdem er seine Gedanken geordnet hatte. Nach seiner Schätzung mußte es fünf oder sechs Reinkarnationen her sein, daß wir uns getroffen hatten. »Bist du immer noch davon überzeugt, ein Androide zu sein?« – »Mehr denn je«, erwiderte ich und nutzte die Gelegenheit, ihm meine Ansichten darzulegen, denn ich hatte in der Zwischenzeit beschlossen, daß ich lieber ein aufstrebender Androide sein wollte, als ein Mensch auf dem Abstieg, dabei waren die Zukunftsaussichten positiver und die Aufarbeitung der Vergangenheit nicht mit soviel Arbeit verbunden. Kurz und gut, ich war, was ich war, und er war ein Apfel vom selben Stamm, und wenn er daran zweifelte, wie wollte er dann das Phänomen eines Lebens ohne Geburt und Kindheit erklären?
Er vermochte es nicht, jedenfalls nicht zu meiner Zufriedenheit, da er fest an seine programmierte Vergangenheit glaubte, und was die Geburt betraf, also bitte, wer kann sich daran erinnern? Und für ihn gab es kein Alter, weil es sein Karma war, jung zu sterben, unmittelbar nach dem Höhepunkt einer jeden Episode, und das erklärte auch, weshalb er jedesmal als Mann in den besten Jahren in die Unterwelt zurückkehrte. Schlau. Doch ich trieb ihn mit dem nächsten Argument in die Enge – daß er in jedem Leben physisch derselbe blieb, widersprach seinem Glauben, daß nur die Seele unveränderlich sei. Er wußte keine Antwort und ging allen weiteren esoterischen Stolpersteinen aus dem Weg, indem er sich dem weit unterhaltsameren Geschäft der Liebe zuwandte, mich
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