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Mein Leben Als Suchmaschine

Mein Leben Als Suchmaschine

Titel: Mein Leben Als Suchmaschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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unglaublich schwachsinniger Gedanke. Ob ich es wohl schaffe, daß dieser Stapel bis zur Decke geht. Mein Ehrgeiz war geweckt. Von nun an lebte ich nur noch für dieses eine Ziel. Ein Mann und sein Traum. An manchem Samstag kaufte ich ohne Grund alle drei Berliner Tageszeitungen mit fettem Immobilienteil, rannte mit ihnen nach Hause und warf sie, ohne auch nur einen Blick reingeworfen zu haben, vor Erregung zitternd auf meinen Stapel. An meinen Briefkasten heftete ich Aufkleber mit der Aufschrift »Werbung bitte hier einwerfen!!!« und forderte sämtlich Kataloge an, die man nur gratis anfordern kann. Ich war wie im Fieber. Freunde wandten sich von mir ab, weil ich mich nur noch für ihre Zeitungen interessierte. Es kam, wie es kommen mußte. Irgendwann erreichte der Stapel die Decke, ich war am Ziel, hatte alles erreicht. Aber nach dem Hochgefühl kam die Leere. Diese schreckliche Leere. Mein Leben hatte plötzlich keinen Sinn mehr. Ich begann einen zweiten Stapel, aber es war einfach nicht mehr so wie früher. Ich wurde apathisch und suchte Trost im Alkohol. Das klappte eigentlich ganz gut. Immer mehr und mehr trank ich, und langsam wurde ich wieder gesellschaftsfähig. Ich hatte die Altpapiersucht besiegt. Der Rettungsanker Alkohol hatte mich vor dem Abgrund gerettet. Dachte ich. Bis ich deprimiert feststellen mußte, daß ich nur die eine Sucht durch eine noch viel schlimmere ersetzt hatte. Ich begriff meine fatale Lage, als ich mich bei dem Gedanken erwischte: »Ob ich es wohl schaffe, das ganze Zimmer mit leeren Flaschen vollzukriegen?« Von nun an war ich altglassüchtig. Der Strudel zog mich immer tiefer hinab. Auch die Altpapiersucht kehrte zurück, und irgendwann sammelte ich wahllos alles, was mir in die Hände kam. Solange es nur einen grünen Punkt hatte. Ich beschloß, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, doch der Psychologe nahm mich nicht ernst, bis er feststellen mußte, daß nach unserem ersten Vorgespräch sämtliche Zeitschriften aus seinem Wartezimmer verschwunden waren, auch die Bilder hatte ich entrahmt und mitgenommen. Daraufhin nahm er meinen Fall an und schaffte es tatsächlich, mich zu heilen. Und trotzdem ist da immer noch dieses Zittern. An jedem Wochenende, wenn ich diese dicken Zeitungen mit ihren fetten Beilagen sehe. Und manchmal frage ich mich, ob es wohl auch noch andere Menschen gibt, die dicke Zeitungen erregen?

Meine Eltern wollten nicht,
daß ich Cowboy werde

    Mein Fahrrad wurde gestohlen. Schon wieder. Vor der Kneipe. Also, jetzt nicht unmittelbar davor, sondern ein paar Meter weiter, wo ich es an einem Straßenschild angeschlossen hatte.
    Habe diesmal aber nicht die Polizei gerufen. Auch, weil ich das Gefühl hatte, die würden womöglich komisch reagieren, wenn man ein bereits gestohlen gemeldetes Fahrrad noch mal als gestohlen meldet. Nein, ich machte das Vernünftigste, ging also zurück in die Kneipe und beschloß, noch ein wenig weiterzutrinken. Viele Probleme lösen sich ja durchs Trinken ganz von allein. Doch seltsamerweise haut mein durchdachter Plan diesesmal irgendwie nicht hin. Immer wieder gehe ich zwischendurch nach dem Fahrrad gucken, aber ganz egal, wieviel ich auch trinke, es taucht einfach nicht wieder auf. Nach einiger Zeit gesellt sich ein zweiter Trinker zu mir. Stelle zufrieden fest, daß der noch viel fertiger und abgeranzter als ich aussieht. Trinkende Menschen haben ein sehr feines Gespür dafüi; wer im Lokal noch kaputter ist als sie. Es ist ein bißchen wie ein Blick in die nähere Zukunft. Er war nicht immer so, schwadroniert der Trinker, früher, da sei er mal ganz oben gewesen! Aber ganz, ganz oben!!! Na klar, denke ich, wie immer. Diese Geschichten, alle haben sie immer diese Geschichten…
    Alles habe er gehabt, wuchtet er weitere Worte über den Tresen, Penthouse, Autos, jede Menge Geld… Alles!!! Aber dann habe er nur einmal irgendwie zu lange am Bahnhof Leipzig geraucht. Alles weg.
    Er fragt mich, ob ich ihm nicht ein Buch über den Dativ und den Genitiv abkaufen will. Leute gibt’s.
    Irgendwann ist er jedoch plötzlich weg. Wie alle anderen Gäste auch. Sowas passiert häufig in Kneipen. Der Wirt will deshalb zumachen.
    Sage ihm, das geht aber nicht. Ich muß hier noch weitertrinken, bis das Fahrrad wieder auftaucht. Wenn man sich einmal auf eine Strategie festgelegt habe, bringe es nur Unglück, die mittendrin wieder zu wechseln. Er sagt, meine Strategie sei zwar sehr durchdacht, mache richtig Sinn, gerade für ihn als Wirt, aber

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