Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
dich nehmen müssen, bevor du zum Dschihad bereit bist. Zunächst wirst du dich vor Gott beweisen müssen, du wirst zeigen müssen, dass du wirklich zu Ihm zurückgekehrt bist. In Europa gibt es Brüder, die dir dabei helfen können, aber es wird lange dauern.
Ich hatte nur eine Frage: „Wann reisen wir ab?“
Einen Monat später brachen wir auf. Hakim kam eines Tages zu mir, zeigte mir die Tickets und sagte, am folgenden Tag würden wir abreisen. Bevor wir aufbrachen, beseitigte er alle Spuren meines alten Lebens, so dass ich im Islam wiedergeboren werden konnte. Er verbrannte mein Notizbuch, das die Namen all der Menschen enthielt, die ich in Marokko gekannt hatte, auch derjenigen, denen ich Drogen verkauft hatte. Das sagte er mir erst, als alles schon beseitigt war. Ich war unglaublich wütend, musste mich aber zurückhalten. Das Allerwichtigste war für mich jetzt meine Rückkehr nach Europa.
Aus dem Flugzeug sah ich, wie Marokko immer weiter hinter uns zurückblieb. Eine innere Stimme sagte mir, dass ich niemals zurückkehren würde. Ich war außer mir vor Freude.
BELGIEN
Auf dem Brüsseler Flughafen wartete mein jüngerer Bruder Nabil auf mich. An seiner Miene konnte ich erkennen, dass etwas nicht in Ordnung war. „Wir wissen nicht, wann die Polizei Hakim wieder freilassen wird.“
Ich war völlig verwirrt. Hakim war doch mit mir geflogen, im selben Flugzeug. Aber als ich zum Gate zurückschaute, sah ich ihn nicht mehr. Während des Fluges hatten wir wegen eines Streits nicht nebeneinander gesessen, doch ich hatte gesehen, wie er an Bord des Flugzeugs gegangen war. Jetzt aber berichtete mir Nabil, dass die marokkanische Geheimpolizei Hakim in Casablanca aus dem Flugzeug geholt habe. Er wurde verhört. Ich erinnerte mich, wie lautstark und offen mein Bruder seine Ansichten kundgetan hatte – etwa seine Überzeugung, die gesamte marokkanische Regierung sei tahout -, und war deshalb nicht besonders überrascht darüber, dass ihn wohl jemand gehört und bei den Behörden angezeigt hatte. Die marokkanischen Behörden verhafteten andauernd Menschen, manchmal einfach nur, um sie aus dem Straßenbild zu entfernen, und ausnahmslos dann, wenn sie auch nur das geringste Anzeichen von Extremismus feststellten.
Nabil brachte mich zum Haus meiner Mutter in einem der Außenbezirke von Brüssel, und bei unserer Ankunft öffnete sie die Tür. Ich war so glücklich über dieses Wiedersehen. Wir hatten zwar miteinander telefoniert, und sie hatte mir Geld nach Marokko geschickt, aber ich hatte sie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen. Sie sah älter aus, war aber immer noch sehr schön.
An diesem Abend saßen wir drei gemeinsam beim Essen. Ich war glücklich, wieder in Europa zu sein.
Hakim wurde schon bald freigelassen. Ein Freund der Familie, der für die Regierung arbeitete, hatte seine Beziehungen spielen lassen. Hakim traf drei Tage nach mir in Brüssel ein und berichtete, die Behörden hätten ihn gedrängt, für die Regierung zu spionieren. Man habe ihm gesagt, dies sei seine Pflicht: „Dies ist Ihr Land. Sie sollten Ihrem Land helfen. Ihr König braucht Sie.“Man hatte ihm Geld angeboten. Hakim würde sich natürlich niemals auf einen solchen Handel einlassen.
Zwei Tage später traf ich zum ersten Mal Amin und Yasin. Ich war den ganzen Tag in der Stadt gewesen, und bei meiner Rückkehr saß Hakim mit fünf anderen Männern im Wohnzimmer. Sie aßen zusammen. Meine Mutter hatte für sie alle ein wunderbares Essen zubereitet. Die ganze Gruppe war sehr gut gekleidet, alle Gäste trugen schöne, gutsitzende Kleidung. Offensichtlich war diese Ausstattung teuer gewesen. Und die Gesichter waren ausnahmslos glattrasiert. In ihrer Mitte sah Hakim so merkwürdig aus, mit seinem langen Bart und der djellaba .
Hakim rief mich zu sich und stellte mich seinen Gästen vor. All diese Männer waren Algerier, und alle sprachen Französisch. Sie waren ausnahmslos sehr jung, einige noch im Teenageralter, andere wiederum erst Anfang zwanzig. Amin war ganz offensichtlich der Anführer. Er hatte eine hellere Haut als die meisten anderen Araber. Außerdem hatte er riesige Augen, die aus dem Kopf hervorzutreten schienen.
Amin war äußerst selbstbewusst. Die anderen schauten zu ihm auf, das sah ich sofort. Er lächelte viel und war sehr freundlich zu mir. Seine Konversation wurde ständig von Anrufen unterbrochen, die auf seinen beiden Mobiltelefonen eingingen. Damals, im Jahr 1993, sah man noch selten jemanden, der
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