Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
das wie einen Schalter vor, wie einen Mechanismus, den ich in meinem Inneren betätigte, wenn ich eine bestimmte Rolle einzunehmen hatte. Jeder Spion braucht einen solchen Schalter, die Fähigkeit, ganze Teile der eigenen Persönlichkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt monate-, wenn nicht gar jahrelang stillzulegen. Ein Jahr zuvor hatte ich diesen Schalter auf meinem Flug von Karatschi nach Islamabad umgelegt.
Den Schalter erneut zu betätigen war inzwischen leichter und schwerer zugleich. Einerseits war es leichter, weil ich mein Leben und meine Freiheit im Westen liebte. Ebenso liebte ich die Annehmlichkeiten, sosehr ich mich auch dafür hasste: all die materiellen Güter, auf die ich als Mudschahid verzichtet hatte.
Andererseits war diese Rückverwandlung aber auch schwieriger, weil ich mich während meiner Abwesenheit verändert hatte.
Ich hatte etwas Grundlegendes über mich selbst gelernt. Ich hatte erfahren, dass ich im tiefsten Innern meiner Persönlichkeit Muslim war. Natürlich hatte ich das schon immer gewusst. Ich hatte immer an Gott geglaubt. Und seit meinen frühen Jahren in der katholischen Schule in der Nähe von Brüssel war mir bewusst, dass ich als Muslim irgendwie anders war, etwas Besonderes. Aber dieses Gefühl ging nicht tiefer.
In Belgien hatte ich Hakim und die anderen wegen ihrer Frömmelei und ihres religiösen Getues verspottet. Inzwischen war ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher. In den Lagern war ich Männern aus so vielen verschiedenen Ländern, Gesellschaftsschichten und ethnischen Gruppen begegnet, die allesamt eines gemeinsam hatten: Ihr Antrieb war die heiße Liebe zum Islam und zu ihrem Heimatland. Diese heiße Liebe trieb auch mich an. Zuweilen hatte sie mich fast verschlungen.
Ich war im Westen erzogen worden und als Spion nach Afghanistan gegangen. Ich war dort gewesen, um gegen diese Terroristen zu kämpfen, gegen Männer, die auf den Schlachtfeldern Algeriens Frauen und Kinder umbrachten. Wenn die Flammen der Liebe dennoch in meinem Innern loderten, wie mussten sie dann erst die Herzen junger Muslime in aller Welt versengen?
Ich wusste, dass ich niemals imstande sein würde, so weit zu gehen wie manche der Männer, die ich in Afghanistan getroffen hatte. Ganz sicher würde ich niemals so weit gehen wie jene Männer in Sarobi, die einen anderen Muslim gefoltert und ermordet hatten, nachdem er sich bereits ergeben hatte. Es waren die Exzesse, die mich letztlich abschreckten – die riesige Diskrepanz zwischen der Theologie, die uns gelehrt wurde, und den Schlachten, die in der Wirklichkeit ausgefochten wurden.
Dennoch verstand ich die Motive dieser Männer, auch wenn ich mich von ihren Methoden distanzierte. Ich verstand ihre Wut und ihre Qual, weil ihnen mehr und mehr von ihrem Land weggenommen wurde. Jerusalem, Afghanistan, Bosnien, Algerien, Tschetschenien – das gehörte für sie alles zusammen. Es waren nur die jüngsten Konfliktherde in einem Krieg, der seit Jahrhunderten andauerte – in einem fortwährenden Krieg gegen den Islam.
Die Mudschahidin waren keine geborenen Mörder. Sie waren geborene Muslime, und als Muslime waren sie für die Verteidigung ihres Heimatlandes verantwortlich.
Am dritten Tag, dem letzten vor Gilles’ Ankunft, ging ich in Sultanahmet, der historischen Altstadt von Istanbul, spazieren. Diese Altstadt ist einer der schönsten Orte auf Erden – die gepflasterten Straßen, der berühmte Topkapi-Palast und vor allen anderen die Hagia Sophia und die Blaue Moschee, die einander gegenüberliegen und durch einen üppigen, grünen Park voneinander getrennt sind. Bei meinem ersten Aufenthalt in Istanbul wollte ich so schnell wie möglich mit meinem Auftrag beginnen und sah deshalb überhaupt nichts von der Stadt. Aber jetzt war eine Übergangszeit zwischen verschiedenen Tätigkeiten. Ich hatte reichlich Zeit.
Am Spätnachmittag betrat ich die Hagia Sophia und ihre schiere Größe versetzte mich in Erstaunen. Im Inneren des Gebäudes erkannte ich aber auch die Schönheit der Architektur – die herrliche Kuppel, die scheinbar schwerelos über den Fensterbögen thronte. Der ganze Innenraum war von goldenem Licht erfüllt.
Es war die schönste Moschee, die ich jemals zu sehen bekam. Aber sie war auch eine Kirche, was mich am meisten verblüffte. Die prächtigen Mosaiken von Jesus Christus und Maria und dem heiligen Johannes Chrysostomos, sie waren alle noch vorhanden. Eigentlich dürfte das nicht sein, denn jede Art von Abbildung eines
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