Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
und Dschihadist verbunden sind und denen sich auch die Geheimdienstmitarbeiter gegenübersehen, die mit solchen Menschen zu tun haben.
Es mag unmöglich sein, jedes Detail von Nasiris Geschichte zu verifizieren, aber am Wahrheitsgehalt seiner ungewöhnlichen Laufbahn besteht kein Zweifel: Er wurde in die Tätigkeit eines bedeutenden algerischen Terrornetzwerks in Europa verwickelt, arbeitete dann für den französischen Geheimdienst, gelangte in die afghanischen Ausbildungslager und verschaffte sich schließlich Zugang zu radikalen islamistischen Kreisen in London. Jede persönliche Schilderung dieser Art spiegelt notwendigerweise den Standpunkt des Betrachters wider und liefert ein höchst subjektives und bisweilen unvollständiges Bild der Ereignisse. Aus diesem Bericht geht jedoch klar hervor, dass das entstehende Netzwerk sehr viel effizienter organisiert und sehr viel entschlossener war, als früher angenommen wurde. Die afghanischen Ausbildungslager waren die Brutstätte der gegenwärtigen terroristischen Bedrohung, und Nasiri gibt die bisher detaillierteste Beschreibung des Lebens in den Lagern, eine Beschreibung, die sehr viel inhaltsstärker und sehr viel beunruhigender ist als alles, was man bisher zu lesen bekam.
Die Algerier nehmen im Bericht Nasiris, der selbst aus Marokko stammt, eine wichtige Rolle ein. Sie bildeten vor dem 11. September 2001 den Kern des islamistischen Terrornetzwerks in Europa. Algerien war in einen Bürgerkrieg gestürzt worden, nachdem die Armee im Januar 1992 das Ergebnis des ersten Wahlgangs der Parlamentswahlen vom Dezember 1991 annulliert und den zweiten Wahlgang untersagt hatte, um zu verhindern, dass die Islamische Heilsfront (Front Islamique du Salut, FIS) an die Macht kam. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, und mehrere Gruppen von Aufständischen traten auf den Plan. Die gewalttätigste Kraft unter diesen Organisationen war die Bewaffnete Islamische Gruppe (Groupe Islamique Armé, GIA). Schätzungen zufolge kämpften bis zu 3000 Algerier in den achtziger Jahren in Afghanistan gegen die Sowjets, und ihr Heimatland bekam die Kampfkraft der heimkehrenden Kriegsveteranen als Erstes zu spüren. Die GIA wurde von Hunderten dieser kampferprobten Männer angeführt, die radikalisiert aus dem Krieg zurückgekehrt und zur Anwendung immer brutalerer Kampftaktiken bereit waren. Netzwerke innerhalb der Immigrantengemeinschaften in Europa unterstützten die Gruppe. Anfangs widmeten sich diese Unterstützerkreise in erster Linie der Propaganda, aber schon bald sammelten sie auch Geld für die GIA und boten ihr logistische Unterstützung, etwa durch gefälschte Pässe und schließlich auch durch Waffenlieferungen.
Nasiri entdeckte 1994 bei der Rückkehr nach Belgien, dass sich das Haus seiner Mutter zu einer wichtigen Drehscheibe für GIA-OPERATIONEN entwickelt hatte. Belgien hatte nur lückenhafte Antiterrorgesetze, deshalb mussten sich diese Gruppen dort weniger vor der Überwachung und dem Zugriff durch Polizei und Sicherheitsdienste fürchten als im benachbarten Frankreich. Nasiri ließ sich seinen Aussagen zufolge nicht aus ideologischen Gründen auf die GIA ein, sondern wollte zunächst nur Geld verdienen, indem er Waffen besorgte. Schon bald verstrickte er sich jedoch tief in deren Aktivitäten.
Nasiri musste eine schicksalhafte Entscheidung treffen, als er nach einem Gelddiebstahl eine Auseinandersetzung mit den GIA-Mitgliedern hatte. Wie so viele andere Menschen, die zu Spionen wurden, ging er diesen Weg eher aufgrund von Nützlichkeitserwägungen, moralische Fragen spielten hierbei eine geringere Rolle. So bot er dem französischen Auslandsgeheimdienst DGSE, der ihn im Gegenzug aus einer schwierigen Situation befreien sollte, seine Dienste an. Frankreich begann in jener Zeit eine enge Zusammenarbeit mit Belgien, es kam zu einer Reihe länger andauernder gemeinsamer Überwachungsaktionen, vor allem nachdem die Franzosen die personelle Stärke der Netzwerke und die Bedrohung, die von ihnen ausging, erkannt hatten.
Ein veritables „Who’s who“algerischer Kämpfer und Aktivisten nutzte das Haus der Familie Nasiri als zeitweilige Unterkunft. Und dabei blieb es nicht, auch die wichtigste Publikation der GIA, der al-Ansar -Rundbrief, wurde dort zusammengestellt, kopiert und anschließend verschickt. Die Entwicklung von al-Ansar war schon für sich genommen ein Indikator der Wandlungsprozesse, die die islamistischen Netzwerke in den neunziger Jahren durchliefen. Das
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