Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
entschied mich, mit dem Bus zum Cinquantenaire-Park zu fahren. Ich hatte dort als Kind viel Zeit verbracht. Der Park lag ganz in der Nähe der Wohnung, in der meine Familie lebte, gleich nachdem wir nach Brüssel gezogen waren. Wenn ich am Wochenende oder in den Ferien heimkam, ging ich oft mit meinen Brüdern in die dortigen Museen. Wir hielten uns dort stundenlang auf, schauten uns die Waffen im Armeemuseum, die Mumien im Museum für Kunst und Geschichte und noch vieles andere an.
Als ich aus dem Bus stieg und den Park betrat, sah ich als Erstes die Moschee, die ich als Kind mit meiner Familie besucht hatte. Natürlich was das nicht sehr häufig gewesen, da ich ja im Sanatorium lebte, aber wenn ich einmal daheim war, studierte ich dort zusammen mit meinen Brüdern den Koran. An Freitagen und während des Ramadans ging ich mit meiner Familie zum Gebet dorthin.
Ich entschloss mich, das Museum für Kunst und Geschichte wieder einmal aufzusuchen. Ich war früher so oft dort gewesen, dass ich es wie meine Westentasche kannte. Dieses Mal fragte ich die Dame am Informationsschalter, ob das Museum nicht auch eine Abteilung für islamische Archäologie oder Geschichte habe. Ich erinnerte mich nicht, als Kind jemals eine solche besucht zu haben. Sie erzählte mir, dass es eine solche Abteilung gebe, und holte einen Plan, um mir den Weg dorthin zu erklären.
„Sie ist im Nebengebäude“, sagte sie. „Sie müssen diesen Bau hier wieder verlassen und hinten herumgehen.“
Ich war wütend. Das Museum besaß Sammlungen aus allen großen westlichen Kulturen – Griechenland, Rom, Byzanz. Ich hatte sie schon als Kind gesehen. Aber ich war noch nie in der islamischen Sammlung gewesen, die man in einen Anbau verbannt hatte, als ob sie weniger wert wäre als die anderen.
Ich ging um das Hauptgebäude herum zu diesem Anbau, den außer mir zu diesem Zeitpunkt niemand besuchte. Es herrschte nur gedämpftes Licht, und die Ausstellungsstücke in ihren Glasvitrinen schienen mir regelrecht entgegenzuspringen. Da gab es Gewänder, Hüte und Schmuckstücke aus der Zeit des Propheten Mohammed, außerdem Speere, Schwerter und Dolche. Ich stand wie versteinert da. Alles fiel von mir ab – Amin und Yasin, Tarek, Gilles, Thierry, sie alle verschwanden. Ich war mir nicht einmal mehr meiner Erkältung bewusst. Mein Herz erfüllte ein großer Frieden. Ich war allein, und es war, als ob mich etwas in eine ganz andere Welt versetzen würde. Ich sah Männer in schimmernden Rüstungen und hörte die trommelnden Hufe ihrer Pferde. Es waren Krieger, die in die Schlacht ritten und ihre blanken Schwerter dem Himmel entgegenstreckten. „Allahu Akbar!“, erklang ihr Ruf. „Allahu Akbar!“
Es war eine Welt der feierlichen Stille, aber auch der wilden Bewegung. Es war eine Welt des Gebets, der Familie, der Gelehrsamkeit und des Stolzes vor allen Nationen, aber auch eine Welt großer Demut vor Gott. Ich stellte mir Saladin vor, wie er die besiegten christlichen Armeen aus Jerusalem entkommen ließ.
Es war eine ganz andere Welt. Es war eine wunderbare Welt – und sie war ins Nebengebäude verbannt.
Als ich das Museum am späten Nachmittag verließ, war meine Erkältung etwas abgeklungen, und ich fühlte mich viel besser. Ich nahm den Bus zurück in mein Viertel. Danach tat ich etwas Ungewöhnliches. Ich nahm einen anderen Weg nach Hause, der etwas länger war. Zuerst ging ich ein Stück am Charleroi-Brüssel-Kanal entlang und gelangte dann durch eine Nebengasse von hinten zu unserem Haus. Es gab keinen Grund dafür, es war einfach eine Augenblicksentscheidung.
Bereits an der Eingangstür begegnete mir meine Mutter. Ihre Augen waren gerötet, sie hatte offensichtlich geweint.
„Wo bist du gewesen?“, jammerte sie. „Die Polizei war hier. Sie haben alle mitgenommen.“
Ich ging mit ihr ins Haus. Sie hatten dort alles auf den Kopf gestellt.
„Die Polizei hat alles durchsucht.“Sie brach wieder in Tränen aus. „Nichts war vor ihnen sicher.“
Ich drückte sie an mich und versuchte, sie zu trösten.
Und dann sagte sie es. „Sie haben auch Nabil mitgenommen. Und sie suchen nach dir.“
Jetzt wusste ich es also sicher. Gilles wollte mich mit allen anderen zusammen verhaften lassen. Er hatte mich angelogen. Ich hatte ein Jahr lang für ihn gearbeitet, hatte mein Leben für ihn riskiert und ihm so viele Informationen verschafft. Und jetzt hatte er mich verraten.
Ich rannte nach oben und holte meinen Pass und einige kleine Fotos von mir,
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