Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
niemals jemandem von sich aus erteilte: das Reinigen der Toiletten. Stattdessen fragte er immer, ob es dafür Freiwillige gebe. Niemals hob dann ein Bruder die Hand, denn es war eine wirklich unangenehme, schmutzige Arbeit. Niemand außer mir.
Alles, was wir im Lager taten, wurde von den Prinzipien der Sunna geregelt, also den Verhaltensweisen, die auf den Handlungen und Aussagen des Propheten Mohammed beruhten. Muslime glauben, dass diese Bräuche Mohammed direkt von Gott diktiert wurden. Die Sunna schreibt Regeln für jeden Aspekt des täglichen Lebens vor, von der Art, jemanden zu begrüßen, bis zur persönlichen Hygiene.
Abu Hurayrah ist der sahabah oder Gefährte Mohammeds, der in den Hadithen , den Ergänzungen und Erläuterungen des Korans, am häufigsten zitiert wird. Er berichtete, dass es jemandem, der in der Wüste unterwegs sei oder dem es aus anderen Gründen an Wasser mangele, durchaus gestattet sei, sich mit kleinen Steinen zu reinigen: „Der Gesandte Allahs, Allahs Segen und Heil ruhe auf ihm, sagte: Wenn einer unter euch sich (nach der Verrichtung seiner Notdurft) mit Steinen abputzt, der soll das mit einer ungeraden Zahl an Steinen tun.“Folglich waren die Toiletten des Lagers voller Steine – Steine, die mit Scheiße bedeckt waren.
Sicherlich machte es mir keinen Spaß, die Toiletten zu reinigen, aber es war doch in relativ kurzer Zeit zu erledigen. In einer Viertelstunde hatte ich alle Kiesel zusammengekehrt und sie dann mit Wasser aus dem Fluss so lange übergossen, bis sie wieder einigermaßen sauber waren. Wenn ich fertig war, hatte ich etwas Freizeit. Ich konnte dann lesen oder Radio hören oder den anderen zuschauen, wie sie Holz oder schwere Eimer schleppen mussten. Diese Arbeiten dauerten Stunden. Jede Woche meldete ich mich deshalb freiwillig zum Toilettenputzen.
Nachdem diese notwendigen Aufgaben erledigt waren, wuschen wir uns und unsere Kleider im Fluss. Ich legte immer Wert darauf, dass mein Schlafsack sauber war, weshalb ich ihn jede Woche wusch. Unsere Schlafsäcke waren alt und voller Flecken, und ich wusste auch warum. In den Filmen über den Krieg der Afghanen gegen die Russen hatte ich gesehen, wie Mudschahidin ihre im Kampf gefallenen Kameraden in Schlafsäcke eingewickelt vom Schlachtfeld trugen. Die Säcke hatten seit damals bestimmt schon zahllose Mudschahidin benutzt. Es war also kaum überraschend, dass viele Brüder in Khaldan an schrecklichen Ausschlägen und anderen Hautkrankheiten litten.
Freitag war jumu’ah, der Tag der Versammlung. Anstatt wie sonst mittags die salat al-dhur zu verrichten, versammelten wir uns in der Moschee, um die Predigt anzuhören. Manchmal war ein Ausbilder der khatib, der Sprecher. Besonders häufig sprachen Abu Suhail und Abu Hamam. Aber genauso oft wurde die Predigt auch von einem Rekruten gehalten. Zum khatib wurde man nicht ausgewählt: Jeder konnte sich freiwillig dazu melden. Im Allgemeinen boten sich aber auch hier wieder die Araber an. Sie waren mehr als wir anderen in der Gedankenwelt und Argumentation des Dschihad geschult, tatsächlich aber auch gebildeter, als wir es waren.
Manchmal handelten die Predigten von der Geschichte des Islam. So sprachen manche Brüder zum Beispiel über wichtige und einflussreiche Imame. Aber meist waren die Vorträge politischer Natur. Es ging in ihnen um die verschiedenen Dschihad, die Muslime in der ganzen Welt kämpften, oder um den Diebstahl muslimischen Landes durch die Ungläubigen.
Nach der Predigt versammelten wir uns am Abend zu einer großen Diskussionsrunde. Wir konnten den khatib über alles befragen, was er gesagt hatte, selbst wenn der Emir an diesem Tag die Predigt gehalten hatte. Das war einer der auffallendsten Erscheinungen in diesem Lager: Jeder war gleich. Natürlich mussten wir dem Emir gehorchen, wenn er uns ganz bestimmte Befehle gab. Aber wenn uns etwas seltsam oder unvernünftig erschien, durften wir ihn immer darauf ansprechen, und er musste uns dann Rede und Antwort stehen. Das war eine Grundregel in diesem Lager: Wir konnten anderer Meinung sein und miteinander, auch kontrovers, diskutieren, wann immer uns danach war – manchmal sogar stundenlang. Es gab keine wirkliche Hierarchie, kein Autoritätsdenken oder Unterwürfigkeitsgefühl. Es war der demokratischste Ort, an dem ich je gewesen war.
Später am Abend hielt Abu Suhail freitags gewöhnlich Kurse über die Theologie und Ideologie von Sayyid Qutb, dem ägyptischen Theologen, ab, an denen ich immer
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