Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
teilnahm. Abu Suhail las uns dann aus dessen Werken vor, vor allem aus seinen beiden wichtigsten Büchern Fi zilal al Qur’an („Im Schatten des Korans“) und Ma’alim fi-l-Tariq („Zeichen auf dem Weg“).
An diesen Kursen fesselten mich einmal der umgängliche Unterrichtsstil Abu Suhails, noch mehr aber die Ideen, die ich dabei kennenlernte. Qutbs Gedanken waren mir von Anfang an einsichtig. Ich bewunderte den geistigen Reichtum seiner Schriften. Qutb war ein wirklicher Gelehrter. Abu Suhail erzählte uns, dass Qutb die Kairoer Universität besucht und sogar an einer Universität in den Vereinigten Staaten sein Magisterexamen abgelegt habe. Qutb hegte höchsten Respekt für die Lehren des Islam, aber er konnte darüber auf eine Weise schreiben, die ich als modern und wirklichkeitsnah empfand und mit der ich etwas anfangen konnte. Er schrieb über die Welt, in der ich lebte, und nicht über eine Welt, die Jahrhunderte zurücklag.
Für Qutb war der Islam mehr als eine Religion. Für ihn war er ein komplettes Gesellschaftssystem, das alles auf dieser Welt mit einschloss. Er vertrat die Ansicht, dass wir nur durch eine vollständige Unterwerfung unter Gottes Willen die Probleme dieser Welt, ob nun Unwissenheit, Ungerechtigkeit oder Armut, lösen können.
Qutbs Philosophie war also hochpolitisch. Gott ist der oberste Souverän – nicht der Mensch! Aus diesem Grunde ist die Theokratie die einzige legitime Regierungsform. Alles andere ist tahout. Muslime, die in Ländern mit weltlichen Regierungen leben, sind verpflichtet, sich diesen entgegenzustellen. Qutb glaubte an die Revolution.
Abu Suhail erzählte uns, dass Qutb gemäß seinen Ansichten gelebt habe. 1948 trat nach Ägyptens Demütigung im Israelisch-Arabischen Krieg ein junger Armeeoffizier namens Gamal Abdel Nasser dem sogenannten Komitee der Freien Offiziere bei, das die Abschaffung der Monarchie betrieb. 1952 hatte es unter Nassers Führung damit Erfolg. Qutb unterstützte anfangs Nassers Bewegung und wurde sogar zum kulturellen Berater des Revolutionären Kommandorats in der neuen Regierung ernannt. Aber diese Zusammenarbeit dauerte nicht sehr lange. Wie viele andere hatte auch Qutb erwartet, dass Nasser einen islamischen Staat errichten würde. Als dies nicht der Fall war, begann Qutb, die weit radikalere Muslimbruderschaft zu unterstützen, die das Nasser-Regime bekämpfte.
1954 versuchte ein Mitglied dieser Bruderschaft, Nasser zu ermorden, woraufhin dessen Regierung sie zu einer illegalen Organisation erklärte. Qutb wurde zusammen mit vielen anderen ins Gefängnis geworfen. Dort schrieb er Im Schatten des Korans und Zeichen auf dem Weg. Erst nach zehn Jahren ließ man ihn frei. Aber einige Monate später, im August 1964, wurde er erneut festgenommen, um danach in einem Schauprozess zum Tode verurteilt zu werden. 1966 wurde er dann gehenkt. Er war also zu einem schahid, einem Märtyrer seines Glaubens, geworden.
Wir hatten natürlich keinen elektrischen Strom in Khaldan. Als Beleuchtung dienten nur Gaslampen oder Kerzen. Aus diesem Grund war ich sehr überrascht, als einige Monate nach meiner Ankunft im Lager plötzlich ein Fernsehgerät auftauchte. An einem Freitagabend wurde es dann herausgetragen und an einen kleinen Generator angeschlossen.
An diesem Abend zeigte man uns die Videoaufnahmen einiger Reden Abdullah Azzams. Wir erfuhren, dass Azzam im Westjordanland geboren wurde, aber nach dem Sechstagekrieg von 1967 nach Jordanien emigriert war. Er schloss sich dem Dschihad gegen die israelischen Besatzer an, ging danach aber nach Kairo, um an der dortigen Universität zu promovieren. Dort befreundete er sich mit Qutbs Familie.
Ende der 1970er Jahre distanzierte er sich dann mehr und mehr vom palästinensischen Dschihad und siedelte nach Saudi-Arabien über. Im Mittelpunkt seines Interesses stand jetzt der globale Dschihad. Er war mehr und mehr davon überzeugt, dass die Umma eine organisierte militärische Streitmacht brauche, die sich gegen die Ungläubigen durchsetzen könne. Als die Sowjets in Afghanistan einmarschierten, zog er mit seiner Familie nach Pakistan, um näher an diesem Kampf zu sein.
In Peschawar gründete er dann das Maktab al-Khadamat („Büro für Mudschahidin-Dienste“), eine Organisation, die den Kampf unterstützen sollte, den die Mudschahidin jenseits der Grenze in Afghanistan gegen die Sowjets ausfochten, und gleichzeitig die neuen Freiwilligen ausbilden wollte, die aus anderen Ländern nach Pakistan
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