Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
strömten. Er reiste auch selbst nach Afghanistan, um den Heldenmut der Glaubenskämpfer mit eigenen Augen zu sehen.
Vor seiner Ermordung im Jahre 1989 wurde Azzam zu einem der wichtigsten Propagandisten des Dschihad. Durch seine Bücher und Lehren lebte er im Herzen der Muslime, gerade der jungen, in der ganzen Welt weiter.
Als wir an diesem Abend die Videoaufnahmen seiner Reden sahen, konnte ich den Grund für seine Wirksamkeit über den Tod hinaus verstehen. Er war beredt und wortgewandt, aber auch leidenschaftlich und feurig. Er sprach über die Vernichtung Israels und den weltweiten Dschihad. Eine seiner Aussagen machte auf mich aber den größten Eindruck: „Die Liebe zum Dschihad prägt mein Leben, meine Seele, meine Empfindungen, mein Herz und meine Gefühle. Wenn die Vorbereitung auf diesen Dschihad Terrorismus ist, dann sind wir Terroristen.“
Das Jumu’ah -Gebet war immer das intensivste der ganzen Woche. Wir hatten uns die ganze Woche die Seele aus dem Leib gerannt, wir hatten gekämpft und geschuftet, und jetzt kamen wir am Freitag zusammen, um uns auszuruhen und gemeinsam Gott anzubeten. Manchmal war ein Bruder von diesem Gemeinschaftserlebnis so überwältigt, dass ihm die Tränen übers Gesicht liefen.
Auch ich war tief bewegt. Während ich mitten unter diesen Mudschahidin stand, spürte ich, wie ich vollkommen vom Geist Gottes erfüllt wurde. Wie die anderen riss mich dieses Gefühl von Liebe, Kameradschaft und Brüderlichkeit mit. Ich war Teil einer Gemeinschaft – einer Gemeinschaft vollkommener Hingabe an Gott.
Woche für Woche fiel es mir schwerer, mich innerlich von meinen Brüdern zu distanzieren. Jede Nacht wurde es schwieriger, mich daran zu erinnern, dass ich keiner von ihnen war. Mich daran zu erinnern, dass ich ein Spion war.
ABDUL KERIM
Während meiner Zeit in Khaldan gab es dort nur zwei Algerier. Einer von ihnen, Abdul Kerim, gehörte meiner Gruppe für das abendliche Tajwid- Studium an und schlief auch in meinem Schlafsaal. Wie ich war er ganz allein gekommen und gehörte keiner Gruppe an. Sein Arabisch war schrecklich, noch viel schlechter als das meine. Aber sein Französisch war perfekt.
Als ich im Lager ankam, gab es da noch einen anderen Algerier namens Abu Jaffar, der etwas älter als Abdul Kerim war. Ich sah die beiden einige Male miteinander reden, aber dann verließ Abu Jaffar das Lager, und Abdul Kerim war wieder allein.
An einem Freitag im Frühsommer hatte ich wieder einmal meine Toilettenreinigung frühzeitig beendet und spazierte zum Nordeingang des Lagers, der stromaufwärts weit von der Kantine entfernt lag. Dort gab es einen kleinen Wasserfall, wo wir immer unser Trinkwasser holten. Auch dieses Mal hatte ich meine Feldflasche dabei, um sie dort aufzufüllen. Es war an diesem Tag brütend heiß.
Auf meinem Weg dorthin ging ich an der Moschee vorbei und sah dort Abdul Kerim ganz allein unter einem Baum sitzen. Ich winkte ihm zu und fragte ihn, ob ich ihm etwas Wasser mitbringen solle. Er lächelte, bedankte sich im Voraus und reichte mir seine Feldflasche.
Das Ganze war hier im Lager ein ganz normaler Vorgang. Wir schauten immer nach den anderen, da wir ja alle aus dem gleichen Grund hier waren. Wir brachten einander Essen und Wasser und halfen uns gegenseitig, wenn wir geschwächt, müde oder krank waren. Wenn ein Bruder das Lager wieder verließ, ließ er fast seine ganzen Besitztümer dort zurück, seinen Mantel, seine Stiefel und sein Radio. Alles, was er hatte, gab er seinen Brüdern.
Als ich zur Moschee zurückkam und auf Abdul Kerim zuging, sah ich, dass vor ihm ein kleines Öfchen stand, auf dem er gerade einen Topf Wasser heiß machte. Neben dem Öfchen stand ein Glas: Nescafé! Ich hatte seit Peschawar keinen Kaffee mehr getrunken. Hier gab es nur diesen fürchterlichen Tee zu trinken. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
Aber dann bemerkte ich noch etwas anderes. Abdul Kerim reinigte gerade seine Kalaschnikow, und er machte dabei alles falsch, was er nur falsch machen konnte. Niemand bekam eine eigene Kalaschnikow ohne monatelanges Training, deshalb wusste ich, dass Abdul Kerim wissen musste, wie man sie ordnungsgemäß reinigte. Ich besaß zwar noch keine eigene Kalaschnikow, aber Édouard hatte mir gezeigt, wie man ein Gewehr putzt, und ich hatte es seitdem Hunderte Male wiederholt.
Man musste tatsächlich auch kein Fachmann sein, um zu erkennen, dass Abdul Kerim sein Gewehr nicht auf die richtige Weise behandelte. Er versuchte
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