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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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also eigentlich der Vorstand aufsammeln. Ich rief dort an, konnte aber wie immer niemanden erreichen.
    Die folgenden zehn Tage, die wir auf Ibiza in einem Massenhotel verbrachten, haben wir dann jeden Tag an Tisch Nr. 29 zu Mittag gegessen, zusammen mit vier Leuten, die wir dabei erst kennenlernten. Unser Tisch war der lauteste im ganzen Restaurant. Der leiseste Tisch befand sich direkt daneben. Dort saß ein schweigsames Pärchen; beide trugen die gleichen schwarzen T-Shirts, auf denen in weißen Lettern stand:  Frank und Silke. Hochzeit am 12.08.06 . Auf dem Rücken stand:  Und das ist auch gut so!!!  Sie aßen kaum etwas, schauten nachdenklich aneinander vorbei und sprachen nie.
    »Nur drei Tage verheiratet und schon so traurig!«, wunderte sich meine Frau.
    An unserem Tisch versammelte sich täglich eine größere Gesellschaft: ein junges Paar mit einem robusten Zweijährigen im Kinderstuhl und ein älterer Herr, der einen Spazierstock und eine dicke Brille trug. Wir stellten uns einander am ersten Tag vor, nur vergaß ich sofort wie üblich die Namen. Den Mann mit der Brille nannten wir unter uns »den Professor«, wegen seines akademischen Aussehens. Den Rest bezeichneten wir als »die Familie« beziehungsweise »der Vater, die Mutter, der Sohn«. Hauptpunkt jeder Mahlzeit an unserem Tisch war die Fütterung des Zweijährigen, an der alle Anwesenden teilnahmen.
    »Iss doch was!«, redeten die jungen Eltern auf ihn ein.
    Das Kind blickte misstrauisch aus seinem Kinderstuhl in die Runde, überlegte, wählte eine gelbe Serviette, rollte sie zusammen und biss ein Stück davon ab.
    »Eine dumme Wahl!«, reagierte sein Vater enttäuscht.
    »Oh, sagen Sie das nicht«, mischte sich der Professor ein. »Das Kind fühlt, was sein Organismus braucht.«
    »Sie glauben doch nicht wirklich, dass in dieser Serviette irgendwelche Vitamine versteckt sind?«, unterbrach ihn die Mutter.
    »Ich schließe das nicht aus«, sagte der Professor und machte ein ernstes Gesicht. »So suchen zum Beispiel Katzen oft nach einem bestimmten Gras, oder wir Menschen fangen plötzlich an, etwas zu essen, was anderen völlig ungenießbar erscheint«, fuhr er fort.
    »Das stimmt. Als Kind habe ich zum Beispiel sehr gerne Kreide gegessen«, berichtete ich etwas unvermittelt. »Aber nicht die graue Schulkreide, die schmeckte mir nicht. Ich aß nur die weißen Stückchen aus dem Buntstiftekasten.«
    »Sie sehen also!«, fasste der Professor zusammen, »nicht die Eltern, die Natur diktiert die richtige Ernährung.«
    Das Kind war inzwischen mit der Serviette fertig und griff nach dem Bierglas seines Vaters. Der blickte fragend in die Runde.
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es die Natur ist, die das Kind zu meinem Bier zieht«, sagte er.
    »Natürlich nicht! Das sind deine Gene!«, bemerkte seine Frau.
    »Lass meine Gene bitte in Ruhe!«, erwiderte der Vater.
    Das Kind legte sein Gesicht aufs Bierglas, schaute interessiert hinein, schüttelte es ein wenig und spuckte dann die Reste der gelben Serviette hinein. Wir beobachteten fasziniert, wie die Natur direkt vor unseren Augen neue Lebenselixiere zusammenmixte. Nur die Eltern waren dagegen. Sie nahmen dem Kind das Bier weg. Eine Weile schaute der Kleine lustlos auf unsere Teller und lutschte an seinen Fingern, dann erhielt er anscheinend von der Natur ein neues Signal. Es nahm ein gekochtes Ei, schälte es gründlich und polkte das Eigelb heraus.
    »Ich habe als Kind auch nur Eigelb gegessen, ich war richtig versessen auf die gelbe Kugel. Das Eiweiß habe ich dagegen immer verschmäht«, erzählte ich.
    Das Kind zerdrückte das Eigelb in der Hand und warf die gelbe Masse auf den Boden. Danach stopfte es sich den Mund mit dem Eiweiß voll und schaute uns fragend an.
    »Falsch geraten!«, jubelte der Professor. »Sie haben das Verlangen der Natur nicht erkannt!«
    Das Kind wandte sich ihm zu und spuckte ihm das Eiweiß auf den Teller.
    »Sie aber auch nicht«, bemerkte ich dazu leise. Unser Tisch verstummte kurz, beeindruckt von der Weisheit der Natur, bis der zweite Gang kam.
    Nach dem Essen sonnten wir uns am Strand von Cala Pada, drei Euro fünfzig pro Schirm, vier Euro für eine Liege. Und natürlich widmeten wir uns der Aufgabe, Sebastian das Schwimmen beizubringen. Allerdings ließ er sich erst am fünften Tag überreden, den Schwimmring zur Seite zu legen, und auch das nur unter der Bedingung, stattdessen eine ibizanische Schwimmweste tragen zu dürfen. Noch später gab er nach und tauschte die

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