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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Weste gegen kleine Schwimmflügel. Diese wollte er jedoch unter keinen Umständen mehr ablegen. Wir merkten überdeutlich, dass diese Art Urlaub uns inzwischen keinen Spaß mehr machte. Ibiza hatte ein paar schöne Ecken, Apfelsinenbäume im roten Sand, Weintrauben auf ungewöhnlich hohen Reben und Wassermelonen, die sich im Staub wälzten. Trotzdem schien die Natur auf der Insel unecht zu sein, nichts als eine weitere Attraktion, um Touristen abzuzocken. Einmal unternahmen wir eine Rundreise auf der Insel, zweimal waren wir mit den Kindern auf der Kartbahn. Wir haben eine Olivenöl-Verarbeitungsanlage aus dem siebzehnten Jahrhundert besichtigt und eine Minzlikörausstellung besucht. Mehr fiel uns nicht ein.
    Jeden Tag brachte der Professor die regionale Bildzeitungsausgabe vom Vortag zum Frühstück (die frische Ausgabe kam erst nach sechzehn Uhr in den Kiosk) und las uns die skurrilsten Urlaubsmeldungen vor. Dabei sparte er nicht mit Kommentaren. Wenn man dieser Zeitung glauben durfte, dann waren deutsche Touristen für alle Arten von Pech besonders anfällig. In Australien war eine Deutsche von Koalas angegriffen, in Afrika eine ganze Gruppe von den dortigen Taliban entführt worden. Auf Ibiza hatte sich ein Mann die Hoden im Liegestuhl eingeklemmt: »Ein Deutscher sonnte sich nach dem Bad an einem FKK-Strand im Liegestuhl. Seine durch die Kälte geschrumpften Hoden rutschten durch die Holzstreben und dehnten sich in der Sonne wieder aus. Der Eingeklemmte rief per Handy die Strandaufsicht und musste aus dem Liegestuhl herausgesägt werden«, berichtete die Zeitung.
    »Kluge Menschen mit großen Eiern nehmen immer ihr Handy mit, wenn sie an den FKK-Strand baden gehen«, kommentierte der Professor.
    Wir beschlossen, den Rest des Sommers im eigenen Garten zu verbringen.

 
12 - Notizen zum Schrebergartenroman
     
     
    In den Werbeprospekten großer Reiseunternehmen werden die potenziellen Kunden mit Versprechungen von »Erholung«, »Entspannung« und »Erfrischung« geködert. Die Menschen, die in Reisebüros ihre Urlaubstouren buchen, sehen aber gar nicht müde aus. Zur Frührente verdammt, haben sie in ihrem Alltag gar keine Möglichkeit, sich so zu überanstrengen, dass sie sich in Südafrika oder Nepal zwei, drei Wochen lang »erfrischen« müssen.
    Vom Reisen verspricht man sich heute viel mehr als eine Entspannungstherapie, nämlich eine Lebensveränderung, eine Möglichkeit, sich selbst in einer neuen Umgebung in völlig anderem Licht erblühen zu lassen. Wenn ich nicht verreise, länger als ein Monat an einem Ort sitzen bleibe, bekomme ich das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Und jeden Tag sausen an mir Tausende von Reisenden vorbei, die meinen Neid wecken. Im Minutentakt durchbohren Flugzeuge den Himmel über Berlin, dutzendweise fahren in jedem Augenblick Züge ab, die Autobahnausfahrten sind schon am frühen Morgen verstopft, und von den Ökotouristen, die mit dem Rad verreisen oder gar zu Fuß gehen, will ich gar nicht erst anfangen. Sie alle werden nicht müde, nach dem Neuen zu suchen, obwohl sie ihr Altes noch nicht durchschaut haben. Sie haben es verlernt, die Wunder der Natur zu schätzen, den schnellen Strom, den schwarzen Wald, die Brache auf den Feldern. Wie Werwölfe warten sie auf ihre Verwandlung, sie glauben, im Ausland anders wahrgenommen zu werden als zu Hause. Dort können sie protzen. Sie können zum Beispiel ein armes Land als gütiger, bescheidener Gott besuchen, den dortigen Bewohnern Salz und Streichhölzer überreichen, den rituellen Tanz nackter Frauen am Feuer genießen, Fotos knipsen und sie Freunden zeigen. Viele westdeutsche Frührentner reisen so. Oder man fliegt umgekehrt als Pilger mit ex-sozialistischem Hintergrund in das von Gott verheißene Land, allen anstrengenden Sicherheitsmaßnahmen dort zum Trotz, um das, was man bisher nur von den Postern im sozialistischen Kinderzimmer kannte, mit eigenen Augen zu erleben: die Freiheitsstatue, rote Berge, Cowboys und Indianer, große Häuser, große Autos, große Pizzas. Fotos knipsen, sie Freunden zeigen. Viele ostdeutsche Frührentner reisen so. Sehr populär sind auch Reisen nach Sibirien. Die Warmherzigkeit der dortigen Bevölkerung, ihre Freundlichkeit, Empfindsamkeit und die Bereitschaft, mit Unbekannten zu trinken und zu feiern, haben sich inzwischen in der Welt herumgesprochen. Viele Deutsche reisen so. Anschließend schreiben sie darüber.
    »Nach dem Frühstück im Hotel Intourist verabschiedeten wir uns von unseren

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