Mein Leben in 80 B
above the trees
But a desperate fear flows through my blood
That our dead love’s buried beneath the mud.»
Seine Wange streifte meine, und er roch appetitlich nach etwas Süßem wie einer Mischung aus frischen Erdbeeren und Nivea-Creme. Aus der Nähe betrachtet sah er noch viel besser aus. Es gefiel mir, so angeschwärmt zu werden. Das war mir das letzte Mal vor mehr als fünfzehn Jahren passiert. Ich spürte, wie der Sekt mich mehr und mehr entspannte, fast gleichgültig machte, lehnte mich zurück und ließ mich ansingen.
«Let’s grow old together
And die at the same time
Let’s grow old together
And die at the same time.»
Oke hörte auf zu singen und sah mich an. «Zusammen alt werden und zur gleichen Zeit sterben, das ist doch die wahre und echte Liebe, oder?»
Ich erinnerte mich dunkel, dieses Lied schon einmal irgendwo gehört zu haben. Wahrscheinlich einer von Hannas Lieblingssongs. Die liefen des Öfteren in einer Lautstärke, bei der alle im Haus Anwesenden mithören konnten.
Bevor ich mich zu sehr von Okes leckerem Duft und seinen Lieblingsliedern einlullen ließ, raffte ich mich auf und setzte mich aufrechter auf den Sitzsack. «Reihenhaus oder Eigentumswohnung?», schob ich die nächste Frage nach.
«Nichts von beidem. Ich halte nicht viel davon, mich mit Immobilien an einen Ort zu binden. Vielleicht koche ich morgen in Wien oder in Vietnam, und was mache ich dann mit meinem Spießerhaus?»
«Ach, wer ein Haus hat, ist ein Spießer? Wieso sagst du das so negativ?» Und wieso fühlte ich mich gleich so angegriffen?
«Spießer sind für mich Leute, die fertig sind mit ihrem Leben. Die sitzen mit dem Hintern in ihrer eigenen Bude. Verheiratet, zwei Kinder, Fußmatte vor der Tür, Lebensversicherung abgeschlossen und dann auf den Tod warten. Stell dir vor, wie grausam das sein muss, wenn alles so fertig ist und nichts Neues mehr dazukommt.»
«Ich bin auch verheiratet und habe zwei Kinder. Und natürlich hat man eine Fußmatte, wenn man Kinder hat. Was meinst du, was die sonst alles ins Haus schleppen? Aber auf keinen Fall sitze ich einfach nur da und warte auf mein Ende!» Ich konnte selbst hören, wie schmallippig das klang.
Oke legte einen Arm um mich. «Dich habe ich auch gar nicht gemeint. Aber du hast doch bestimmt in deinem Freundeskreis solche Typen. Die unterhalten sich den ganzen Abend darüber, ob sie den neuen Mercedes in Schwarz oder Metallic bestellen sollen oder ob man mal ganz mutig Weiß wagen soll. Das Konto ist immer gut gefüllt, dreimal im Jahr geht’s in den Urlaub, und wenn Mutti keine Lust mehr hat, dann macht Papi eben ein bisschen mit der Sekretärin rum.»
«Nur weil man verheiratet ist, wird das Leben doch nicht zu einer tristen Heizdeckenverkaufsveranstaltung.» Wieso mäkelten auf einmal alle an meiner Ehe herum? «Ich bin gerne verheiratet, und ich liebe meine Kinder. Von mir verlangt keiner, dass ich den ganzen Tag die Hausfrau spiele und nach dem
Tatort
zum Vamp mutiere. Ich könnte mir ein Leben wie deins auch nicht vorstellen. Erst in der einen Stadt, dann in der anderen. Den ganzen Tag arbeiten, früh aufstehen und nachts nach Hause kommen. Immer alleine …»
Was hatte ich gerade noch sagen wollen? Ich spürte, wie der Alkohol mir langsam das Hirn vernebelte.
«Wie kommst du denn auf die Idee, dass ich immer alleine bin?» Oke grinste und küsste mich flüchtig auf die Wange. «Klasse, wie deine Augen blitzen, wenn du dich so aufregst. Willst du jetzt tanzen?» Die Musik war lauter geworden, statt Geburtstagsmusik gab es jetzt Tanzhits aus den Siebzigern und Achtzigern. Gerade lief
I’m Every Woman
von Chaka Khan.
«Ach nein, lieber noch so einen Hexensekt.» Lallte ich etwa schon?
«Wieso Hexensekt?»
«Na, dieses grüne Zeug da drin, das ist doch wohl in irgendeiner Hexenküche zusammengebraut worden.»
«Das grüne Zeug hat die Oma unseres Souschefs selbst gemacht. Das gibt es nur für ganz besondere Gäste. Ich hol dir aber gerne noch ein Glas», sprach der Koch und schwang sich erstaunlich elegant aus dem knirschenden Sitzsack, um seinen Worten Taten folgen zu lassen.
Die Tanzfläche wogte mittlerweile zu
London Calling
von
The Clash
. Bei den meisten Gästen war der Alkoholpegel inzwischen hoch genug, um den Refrain laut mitzugrölen. Lustig, wie unterschiedlich die Menschen sich zur Musik bewegten. Da gab es Zappler, deren ganzer Körper zuckte, als hätten sie mit allen Fingern gleichzeitig in die Steckdose gefasst. Dann die
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