Mein Leben, meine Filme - Die Autobiografie
verabschiedet, dann musst du ihn erst mal wieder ausfindig machen!
Er war besänftigt und erleichtert, dass ich sein Vertrauen nicht missbraucht hatte, als ich ihm die Schulden binnen weniger als einem Jahr zurückzahlte, indem ich meinem Vater monatlich vier Millionen Lire überwies, der dieses Geld dann meinem Gläubiger übergab. Dies verlieh meinem Wort und meiner Glaubwürdigkeit hier in Rom Gewicht in einer Phase, in der mein sportlicher Ruhm langsam verblasste.
Was aber alle verwunderte, die mich kannten, war, dass der berühmte Olympia-Champion Carlo Pedersoli, der trotz der Schulden keinen Hunger litt und ohne Weiteres auch in Italien einen Job hätte finden können, beschloss, ans andere Ende der Welt zu gehen, um dort in einer völlig fremden Umgebung etwas zu machen, worin er keinerlei Erfahrung besaß.
Aber nicht nur ökonomische Gründe brachten mich dazu, sondern dahinter steckten noch viel tiefere und dramatischere Gründe: Ich war endlich zu mir gekommen und wusste nicht, wer ich wirklich war. Ein Champion war ich nicht mehr; ein genialer Chemiker auch nicht, trotz der guten Anfänge; ein Industrieller war ich nie gewesen, und das märchenhafte Leben eines reichen Sprösslings war auch jäh zu Ende gegangen. Ich hatte absolut nichts in den Händen, was mir verraten hätte, was ich eigentlich konnte, mal abgesehen vom Verlustieren und vom Schwimmen.
Wir all werden im Laufe unseres Lebens dazu gezwungen, früh (oder auch weniger früh) aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen, und immer wieder dieselben Handgriffe zu tun, mit schlechten, guten oder hervorragenden Ergebnissen, je nachdem. Aber selten gehen wir in uns, um herauszufinden, aus welchem Holze wir wirklich geschnitzt sind, möglicherweise, weil wir Angst davor haben, es wirklich zu ergründen.
Als meine Leistungssport-Erfolge der Vergangenheit angehörten, fragte ich mich: »Carlo, was zum Teufel kannst du eigentlich wirklich?« Und ich setzte meine Überlegungen mit lauter Stimme fort: Deine Karriere als Champion ist zu Ende; du hast zwei Studiengänge angefangen, aber nicht abgeschlossen; einen Beruf hast du nicht gelernt. Gehst du fort nach Neapel? Bleibst du in Rom? Schau mal, sowohl im Süden, in der Mitte als auch im Norden Italiens kennt man dich. Ob das nun gut oder schlecht ist, du wirst immer jemanden finden, der den Ex-Olympia-Champion unterstützt, der dir sozusagen eine Art Leibrente zahlen würde. Aber wenn du das tust, riskierst du, alt und die Karikatur deiner selbst zu werden, der Schatten des Sport-Veteranen, der von Erinnerungen und Überresten lebt.
Das Beste für dich ist, wenn du an einen Ort gehst, wo es völlig gleich ist, wird du bist und vorher du kommst. Es ist schon eine ziemliche Schande, dass du gewartet hast, bis du 27 bist, schöner Carletto, bis du dir endlich selbst entgegentrittst: Du kannst gegen so viele Yamanakas gewinnen, wie du willst, aber dich selbst zu schlagen wird unmöglich sein. Mit dir selbst wirst du den Rest deines Lebens verbringen müssen. Bislang bist du ganz gut zurechtgekommen, hast erst im Wohlstand, dann später unter etwas bescheideneren Umständen gelebt und hast es bereits als Jugendlicher zur Berühmtheit gebracht. Mit dem schönen Geschlecht hattest du keinerlei Probleme, du wurdest von den Eltern behütet, hast dich an die Partys und an die Späße mit deinen Freunden gewöhnt. Aber in wenigen Jahren wirst du dreißig sein und du weißt immer noch nicht, wer du bist. Wollen wir mal hoffen, dass du jemand bist, der noch mehr draufhat; als kurz auf dem Titelblatt einer Zeitung zu erscheinen oder einen Pokal auf dem Nachttisch stehen zu haben.
*
Wenige Wochen nachdem ich den Mut hatte, mir diese Fragen zu stellen, die schon lange tief in meinem Inneren gegärt hatten, fand ich mich am Amazonas wieder. Und heulte wie ein Schlosshund.
Vielleiht hatte ich zuvor nie wirklich geweint, das Kindesalter mal ausgenommen. Dort im Dschungel aber; in dieser fremden und ungastlichen Welt, heulte ich auf einmal Rotz und Wasser. Ich gab gut acht, dass niemand mich dabei sah, denn in den Augen der anderen war ich ein bulliger Weißer; der ganz hart im Nehmen zu sein schien. Am Amazonas arbeitete ich für die Firma »Simar« und hoffte, dass hier, weit weg von all den Annehmlichkeiten, die mich hatten verweichlichen lassen, aus mir ein echter Mann werden würde. Einige Zeit später wurde ich nach Caracas gerufen, wo ich die Leitung des
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