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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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Sängerensemble mit Martha Mödl, Ludwig Suthaus, Ferdinand Frantz, Margarete Klose, Ira Malaniuk und Elisabeth Grümmer aber ist unschlagbar. Einen größeren roten Teppich hätte man dem deutschen Dirigenten nicht ausrollen können. Und bei Furtwängler laufen, man mag es glauben oder nicht, wie magisch alle Fäden der Wagner-Interpretation vor und nach ihm zusammen: die apollinischen und die dionysischen, die epischen und die dramatischen, die klangsinnlichen und die theatralischen. Keine andere Einspielung erklärt, nein: erhellt mir den Zyklus so unmissverständlich.

 

    10
Ein Anti-«Tristan», mit violetter Tinte komponiert:
«Parsifal»
    Wahrscheinlich muss man als junger Mensch so denken, wenn man etwas will, doch heute schäme ich mich ein bisschen für meine Hybris: Assistent bei Herbert von Karajan war ich, und für die Salzburger Osterfestspiele 1981 stand Wagners «Parsifal» auf dem Programm. Ich sitze also mit meinen 21 Jahren bei den Vorproben in Berlin und höre, wie Karajan Heiligkeit zaubert und Leichtigkeit tupft – und denke mir: Das kannst du auch. Weil alles so selbstverständlich klang, so natürlich, eben so und nicht anders. Später habe ich eingesehen, wie schwer der «Parsifal» ist. Man braucht einen Plan, vor allem muss man sich gründlich überlegen, was man mit den Tempi macht, sonst ist man verloren. Im «Parsifal» geht nichts von selbst, nichts nur mit Musikalität und Intuition. Wagners «Bühnenweihfestspiel» ist ein langsames Stück, aber es darf nicht jedes Tempo gleich langsam sein, sonst wird die Sache öde. Ich versuche bis heute zu beherzigen, was Wolfgang Wagner mir sagte: Sie müssen das Gefühl haben, Sie seien viel zu schnell – dann ist es richtig. In Bayreuth habe ich 2001 für den ersten Akt eine Stunde und 44 Minuten gebraucht. In Wien im Frühjahr 2012 waren es bloß eine Stunde und 37 Minuten. Ein Teil dieser sieben Minuten mag dem offenen beziehungsweise geschlossenen Graben geschuldet sein; der Rest ist Erfahrung.
    Und noch etwas kommt hinzu. Der «Parsifal» ist so schwer, weil Wagner hier die hohen Mauern zwischen dem deutschen und dem französischen Fach einreißt: Er verlangt, dass man Debussys «L’après-midi d’un faune» präsent hat, er will, dass man sich mit Ravels «Daphnis et Chloë» auskennt, er setzt Felix Mendelssohn Bartholdy voraus und die «Meistersinger» sowieso – und das alles soll man wissen und übertragen und in das Passionspathos des «Parsifal» gleichsam injizieren. Damit dieses von innen heraus leuchtet und lebt und schillert, fast impressionistisch, sehr lateinisch. Da kann einem schon angst und bange werden.
    Es gibt zwei Äußerungen von Wagner, die als mentale Steigbügel zum «Parsifal» taugen. Die erste ist geradezu prophetisch, wenn Wagner 1859 in einem Brief an Mathilde Wesendonck schreibt, dass er sich mit dem Gedanken an eine neue «grundböse Arbeit» trage, die über den dritten Akt des «Tristan» noch hinausgehe: Amfortas sei Tristan «mit einer undenklichen Steigerung». Die Liebesqual als Kreuz des Lebens? Die zweite Äußerung stammt aus dem Frühjahr 1878, Carl Friedrich Glasenapp hat sie überliefert. Demnach sang und spielte der Meister eines Abends in Wahnfried aus dem «Tristan» vor und sagte, «das Werk habe eine ganz eigentümliche Farbe; es sei darin alles wie Violett, wie ein tiefes Lila». Das ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil Wagner die gesamte «Parsifal»-Partitur mit violetter Tinte schrieb, sondern auch wegen des Zeitpunkts. Nach Glasenapp nämlich war Wagner just an der Stelle im zweiten Akt angelangt, an der Parsifal durch Kundrys Kuss «wissend» wird und allem Erotischen entsagt. Demnach wäre der «Parsifal» eine Art Anti-«Tristan» – eine Spur, der zu folgen sich auf vielfältige Weise lohnt.
    Entstehung
    Nüchtern betrachtet, münden die ersten Bayreuther Festspiele von 1876 in eine Katastrophe. Künstlerisch hat Wagner bei weitem nicht das erreicht, was er erreichen wollte, und finanziell sieht es trotz aller königlichen Zuwendungen finster aus. Wagner leidet unter Depressionen und Herzattacken (von den Ärzten als «Brustkrämpfe» diagnostiziert). Mal träumt er von einer «Ring»-Aufführung vor lauter Toten, mal trägt er sich mit Auswanderungsplänen, mal sieht er die Villa Wahnfried und das Festspielhaus vor dem inneren Auge in Flammen aufgehen. Wagner muss Geld verdienen, im Mai 1877 begibt er sich auf Konzertreise nach London, wo ihm alles zuwider ist.

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