Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Friedrich Schorr als Wotan, Lauritz Melchior als Siegfried und Frida Leider als Brünnhilde, bei Pearl) bis zu Einschlägigem unter Georg Solti oder Bernard Haitink und Referenzaufnahmen unter Furtwängler, Karajan oder Boulez. 30 mal rund 15 Stunden Musik, das macht 450 Stunden – wie sollte man die je detailliert würdigen (abgesehen davon, dass ich nicht alles kenne)?
Stellt das Bayreuther Festspielhaus vom «Fliegenden Holländer» bis zu den «Meistersingern» akustisch oft eine Bürde dar, so ist es für den «Ring» ein Geschenk – und das hört man. Meiner eigenen Bayreuther Aufnahme von 2008 (Opus Arte) gehen acht ältere voraus, und sie könnten trotz gleicher Bedingungen unterschiedlicher nicht sein. Auch das spricht für das Potenzial des Hauses. Daniel Barenboim etwa (1992, mit John Tomlinson als Wotan und Siegfried Jerusalem als Siegfried, bei Warner) setzt ganz auf Geschmeidigkeit, ihn interessiert der Klang, die Klangwerdung, das spürt man in seinen Übergängen und Farben. Pierre Boulez hingegen (1980, mit Donald McIntyre als Wotan, Gwyneth Jones als Brünnhilde und Peter Hofmann als Siegmund, bei Philips) legt mehr das Gebein der Musik frei: sehr sensibel, sehr analytisch, höchst aufschlussreich. Er liefert so etwas wie das Negativ zu vielen älteren Lesarten, zu Karl Böhm 1966, aber auch zu dem von mir sehr verehrten Hans Knappertsbusch (1956, mit Hans Hotter als Wotan, dem jungen Wolfgang Windgassen als Siegmund und Siegfried, Astrid Varnay als Brünnhilde und vielen anderen großen Namen, bei Orfeo). Phänomenal, immer wieder, mit welcher Noblesse, welcher handwerklichen Bravour der «Kna» Musik-Theater machte. Vieles geschieht bei ihm aus dem Moment heraus, er hatte kein Konzept, aber alles im kleinen Finger. Dagegen wirkt Joseph Keilberth (1955, neu bei Testament) in meinen Ohren doch etwas ernst und streng.
Unter den Nicht-Bayreuth-Aufnahmen gilt vor allem der Solti-«Ring» als legendär, die erste Gesamteinspielung der Tetralogie für Schallplatte überhaupt: Mit beträchtlichen Abständen zwischen 1958 und 1965 in den Wiener Sophiensälen produziert (und zwar in der Reihenfolge «Rheingold», «Siegfried», «Götterdämmerung», «Walküre»), klingt das Ganze erst einmal toll, keine Frage (Decca). Kernige Bläser, saftige Streicher, die Wiener Philharmoniker machen ihrem Ruf alle Ehre und lassen Soltis gerne etwas überdramatische Interpretation nach Kräften leuchten. Um den fehlenden Bühnenraum zu simulieren, half man mit technischen Klangeffekten nach, die der Atmosphäre nicht gut tun, sie künstlich machen und kalt zugleich (was durch die nicht-chronologische Reihenfolge der Aufnahmen noch verstärkt wird, aber vielleicht bildet man sich das auch nur ein). Im «Rheingold» ist George London der Wotan und Kirsten Flagstad die Fricka, als Brünnhilde und Siegfried agiert das Bayreuth-Paar Nilsson und Windgassen – der Zyklus balanciert also ein bisschen auf einer Sängergenerationen-Scheide, was die Orientierung nicht erleichtert.
Das zumindest eint Solti mit Herbert von Karajan, der kurz darauf die zweite Gesamteinspielung vorlegte, ebenfalls über einen größeren Zeitraum hinweg produziert (1966–1970, Deutsche Grammophon). Karajan fing mit der «Walküre» an und variierte in der Besetzung von Stück zu Stück. Mal ist Dietrich Fischer-Dieskau sein Wotan (im «Rheingold»), mal ist es Thomas Stewart (in der «Walküre» und im «Siegfried»), mal singt Jess Thomas den Siegfried, mal Helge Brilioth. Selbst wenn man aus eigener Erfahrung gerne zugibt, dass man für die großen «Ring»-Partien streng genommen mehrere Stimmen bräuchte, so fördert ein solches Bäumchen-wechsel-dich-Spiel nicht die Geschlossenheit des Ganzen. Wettgemacht wird das jedoch durch Karajans grandiose Disposition. Sein unbestechlicher dramaturgischer Spürsinn ist immer wieder frappierend. Und die Berliner Philharmoniker spielen schlichtweg hinreißend – diese seidige Textur in den Streichern, die Homogenität in den Bläsern, dieses feinnervige Lauern auf die dramatischen Gipfelpunkte: Die Orchesterleistung scheint kaum zu übertreffen zu sein.
Auf die sprichwörtliche einsame Insel würde ich mir trotzdem Wilhelm Furtwänglers «Ring»-Aufnahme von 1953 mitnehmen, über einen Monat hinweg in Rom aktweise für das italienische Radio produziert (EMI). Sicher gibt es Wagner-affinere, idiomatischere Orchester als das der RAI, und auch technisch stören so manche Wackler und Rumpler. Das
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