Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Spielart der Alliteration kam ihm gleich mehrfach entgegen: Seine Libretti erschienen mit ihrer Hilfe in einem authentischen kunst-mittelalterlichen Gewand, außerdem ließ sich die Sprache durch das Spiel mit den Anlauten gleichsam musikalisieren. Als wäre der Text eine Vorstufe zur Komposition. Über Wagners Stabreime lässt sich leicht lachen, und oftmals besteht dazu auch Grund. Lautliche Eigenkreationen wie das «Wagalaweia» der Rheintöchter oder das «Hojotoho» der Walküren sind längst in unseren kollektiven Wortschatz übergegangen. Aber auch bei Alberichs «garstig glattem /glitschrigem Glimmer» oder Versen wie «Der Recken Zwist /entzweit noch die Rosse!» schlägt man sich gern auf die Schenkel. Abgesehen davon, dass Wagner das feine Besteck der Ironie beherrscht und Humor genug besitzt, um sich auch über sich selbst lustig zu machen, erscheint mir das arg wohlfeil. Ein einziges «Wallala weiala weia» – und schon verabschieden wir uns von einem der großartigsten Textdichter der gesamten Operngeschichte?
Zunächst muss man Wagners Leistung anerkennen. Durch wie viele dicke Wälzer und Quellen er sich gefressen hat, durch die «Edda», die diversen Fassungen des «Nibelungenlieds», durch Gottfrieds «Tristan» und Wolframs «Parzival» und etliches mehr! Und mit welchem Überblick, welcher geradezu feldherrnartigen Souveränität er all die Stränge, Stoff- und Handlungsebenen dramaturgisch zu ordnen verstand! Auch als Theaterdichter hat Wagner Maßstäbe gesetzt, und er kann es auf diesem Gebiet mit Profis durchaus aufnehmen – mit Arrigo Boito etwa, Giuseppe Verdis Librettisten (der «Rienzi», «Tristan und Isolde» sowie die «Wesendonck-Lieder» ins Italienische übersetzt hat). Boitos und Verdis «Simon Boccanegra» oder «Otello» sind spannungsgeladene, dämonische, meisterhafte Opern, keine Frage. Das Verhältnis von Wort und Ton aber ist ein gänzlich anderes. Ohne ins Detail gehen zu wollen und die Entwicklungsschübe in beiden Œuvres zu berücksichtigen, könnte man sagen: Boito und Verdi vertonen – Wagner verklanglicht. Boito und Verdi verknappen, destillieren, dramatisieren – Wagner verströmt sich, feiert Orgien, ergreift Besitz. Bei aller Liebe zur italienischen Oper wird ein Herz wie das meine, das Herz eines Klangmenschen, immer mehr für Wagner schlagen.
Bei Wagners schieren Textmassen allerdings bleiben Unterschiede im Niveau nicht aus. Es gibt etliche Wendungen, die keiner kennt und keiner jemals hört, weil sie im Getümmel schlicht untergehen. Und das ist gut so. Um Verse wie «Die Stute /stößt mir der Hengst!» ist es nicht wirklich schade. Andererseits schreibt Wagner immer wieder sehr schöne, poetische, hoch reflektierte Texte. Brünnhildes «War es so schmählich, /was ich verbrach, /daß mein Verbrechen so schmählich du bestrafst?» ist ein Stabreim mit Gewicht, Lohengrins «Das süße Lied verhallt; wir sind allein, /zum ersten Mal allein» hat einen erotischen Duft. Oft geht die Verklanglichung der Sprache so weit, dass sich die Sänger gar nicht mehr richtig bewusst machen, was sie da eigentlich singen. Doch es ist nicht alles Gelalle bei Wagner, nicht alles nur Lautfüllstoff. Insofern halte ich einen präzisen Umgang mit dem Text für unerlässlich. Es war die Idee Walter Felsensteins, des Begründers des sogenannten realistischen Musiktheaters und langjährigen Chefs der Komischen Oper Berlin, seine Sänger vor jeder Neuinszenierung das Libretto laut lesen zu lassen (nicht nur bei Wagner). Ich rege das auf der Probe auch manchmal an: Bei deklamatorischen Problemen kann es ungemein helfen, einen Vers oder Satz einfach mal ohne den musikalischen Rhythmus zu sprechen, ganz wie die deutsche Sprache es verlangt. Denn meist hat Wagner so komponiert, wie man spricht.
Wenn er das einmal nicht tut, dann mit gutem Grund. Vor dem Quintett im dritten Akt der «Meistersinger» etwa betont er bewusst falsch. Da spricht Sachs von der «‹seligen Morgentraum-Deutweise›», in Anführungsstriche gesetzt, ein äußerst merkwürdiges Wort. Wagner, raffiniert, wie er ist, legt den Akzent weder auf «Morgen» noch auf «Weise», sondern auf «Deut» – Morgentraum- Deut weise. Warum? Um zu zeigen, dass es darum geht, das Geschehene richtig zu deuten: Evchens Liebe zu Stolzing, Sachs’ eigenen Liebesverzicht («Mein Kind: /von Tristan und Isolde /kenn’ ich ein traurig Stück: /Hans Sachs war klug, und wollte /nichts von Herrn Markes Glück») und
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