Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Hans Richter und Siegfried Wagner an. Dass er nicht früher als Dirigent engagiert wird, ist erstens der traditionellen Konkurrenz zwischen Bayreuth und München geschuldet, zweitens Winifreds anfänglichem Faible für Fritz Busch 1924 und drittens Knappertsbuschs politischer «Unzuverlässigkeit» in den Augen der Nationalsozialisten. Erst 1951, mit 63 Jahren, feiert er sein Bayreuth-Debüt – dafür gleich mit dem «Parsifal», dem «Ring» und den «Meistersingern» im selben Jahr. Wieland Wagner führt sowohl beim «Ring» als auch beim «Parsifal» Regie und sorgt selbst für die Ausstattung. Seine charakteristische «Scheibe» auf der Bühne deutet Knappertsbusch spöttisch als «Kochplatte», und lange glaubt er, die «Parsifal»-Szene sei so karg, weil der Wagner-Enkel mit der Arbeit nicht fertig geworden sei. Bis zu seinem Tod 1965 dirigiert Knappertsbusch jedes Jahr in Bayreuth.
Knappertsbuschs Unlust zu proben ist sprichwörtlich und hat zahllose Anekdoten hervorgebracht («Meine Herren, Sie kennen das Stück, ich kenne das Stück, wir sehen uns am Abend wieder»). Wenn man ihn aber in alten Filmausschnitten dirigieren sieht , mit seinem überlangen Taktstock und der Locke in der hohen Stirn, mit diesen sparsamen, uneitlen Gesten, dann denke ich – bei aller Unterschiedlichkeit der Temperamente – manchmal an Richard Wagner und daran, wie Kietz einst über ihn schrieb. Als Dirigent zu erreichen, was Knappertsbusch konnte, hoch konzentriert nichts zu machen oder nur ganz wenig und ansonsten auf die eigene Persönlichkeit zu vertrauen, auf Suggestion, Erfahrung, Herzensbildung, Intuition – das ist für mich ein großes Ziel.
Der Bruch mit der Wagner-Tradition Mitte des 20. Jahrhunderts hatte aber noch einen anderen Grund: die neuen Medien. Durch Radio, Film und Schallplatte wurde die Augenblicksraumkunst Musik technisch reproduzierbar. Man musste nicht mehr nach Bayreuth fahren (natürlich musste und muss man das, bis heute!), um zu hören, wie Wagners «Parsifal» klingen kann und klingen soll. Oder inwiefern sich Abendroths «Meistersinger» während des Krieges von denen des jungen H ERBERT VON K ARAJAN nach dem Krieg unterschieden. Man konnte sich auch mit Konserven behelfen. Karajan, der 1951 den Grünen Hügel betritt und mit ihm die Bühnen der Welt, wird zur Galionsfigur des modernen Medienzeitalters. In Bayreuth allerdings, so ist in Wolfgang Wagners Autobiographie nachzulesen, will er von Anfang an mit dem Kopf durch die Wand. Zwar wird seine Forderung nach einer persönlichen Toilette noch augenrollend erfüllt, als er aber dazu übergeht, die «Tristan»-Proben 1952 mit Tonband abzuhalten (um die Sänger besser kontrollieren zu können) und die Sitzordnung im Orchestergraben zu verändern (Streicher nach rechts, Bläser nach links), ist das Ende der Zusammenarbeit gekommen. Laut Wolfgang Wagner trägt Karajans mächtiger «Prestige- und Finanzverwalter» Walter Legge daran keine kleine Schuld. Karajan (der «Mann K.», wie Furtwängler ätzt) wird Bayreuth nie wieder betreten.
Mit Herbert von Karajan ragt ein in Bayreuth, an Bayreuth Gescheiterter in meine Biographie hinein. Gäbe es nicht auch H ORST S TEIN, H EINRICH H OLLREISER und D ANIEL B ARENBOIM , die auf dem Grünen Hügel durchaus ihr Glück machten, müsste mich das wohl bekümmern. Karajan aber, den ich für die Homogenität und Durchsichtigkeit seines Wagner-Klangs bis heute hemmungslos bewundere, ist nicht der Einzige, der aneckt und Schwierigkeiten hat. Selbst C LEMENS K RAUSS, E UGEN J OCHUM und L OVRO VON M ATACIC kommen nur für ein Jahr auf den Grünen Hügel, ebenso wie J OSEF K RIPS, B ERISLAV K LOBUCAR, C ARL M ELLES (der Vater von Sunnyi Melles), A LBERTO E REDE, H ANS Z ENDER oder E DO DE W AART . W OLFGANG S AWALLISCH überwirft sich nach sieben erfolgreichen Jahren mit Wieland Wagner, weil er Anja Silja nicht als Eva in den «Meistersingern» akzeptiert. G EORG S OLTI hätte am liebsten den Grabendeckel abgeschraubt – und gibt seinen «Ring» bereits im zweiten Jahr, 1984, wieder auf. So vielfältig die Gründe des Scheiterns im Einzelnen sind, letztlich hat man eine Affinität zu diesem Haus – oder man hat sie nicht. Das ist meine feste Überzeugung. Erlernen, üben lässt sich Wagner in Bayreuth nur bedingt.
Sicher gab und gibt es etliche Kollegen, die bei den Festspielen fehlen. Arthur Nikisch etwa (der als Geiger 1872 unter Richard Wagner Beethovens Neunte spielte) war ein ausgesprochener
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