Mein Leben mit Wagner (German Edition)
zwar als ungeeignet, vor allem der Zuschauerraum war zu klein, der Ort aber gefiel ihm. Schon Anfang 1872 packte Wagner im schweizerischen Tribschen seine Sachen, am 22. Mai (seinem 59. Geburtstag) wurde auf dem Grünen Hügel der Grundstein fürs Festspielhaus gelegt. Es regnete in Strömen, der Meister aber ließ es sich nicht nehmen, Ludwigs Glückwunschtelegramm persönlich ins Fundament einzumauern.
Politisch hätte Wagner auf keine günstigeren Umstände treffen können. Das junge deutsche Kaiserreich lechzte nach neuen (alten) Mythen, und dem Gründerzeitethos jener Jahre war alles Spekulative und Emphatische hoch willkommen. Ökonomisch allerdings knirschte es gewaltig. Um ein Drittel wurde das auf 300.000 Taler berechnete Gesamtbudget des Festspielunternehmens am Ende überschritten, der Verkauf sogenannter Patronatsscheine zu je 1000 Talern lief schleppend, der ins Leben gerufene Verwaltungsrat sah sich rasch am Ende seines kaufmännischen Lateins. Mehrfach geriet der Bau ins Stocken, die Proben des Jahres 1876 konnten kaum bezahlt werden – und wenn Ludwig II. nicht zweimal massiv eingegriffen hätte, Wagner wäre krachend gescheitert. «Ihnen dienen will ich, so lange ich lebe und athme», schwor der König in einem späten Billett an seinen Künstler, allen zwischenzeitlichen Differenzen zum Trotz. Und so gelang, wovon die Welt bis heute zehrt: die Institutionalisierung einer anarchischen Idee. Was Richard Wagner sagen würde, wenn er wüsste, dass seine Festspiele 2013 bereits zum 102. Mal stattfinden?
Ursprünglich, ein Vierteljahrhundert vor Bayreuth, baute der Festspielgedanke noch ganz auf Vorläufigkeit. Ein Gegenmodell sollte es sein zur «Krankheit» der herrschenden «Theaterwirtschaft», eine «Feuerkur» im reinigenden, durchaus zerstörerischen Sinn des Wortes. Wagners Brief aus dem Zürcher Exil an seinen revolutionären Gesinnungsgenossen, den Dresdner Geiger Theodor Uhlig, vom 22. September 1850 ist berühmt und sagt alles (in dieser Zeit ist er mit einer Vorstufe des «Rings» beschäftigt, dem Drama «Siegfrieds Tod»): Auf «einer schönen Wiese bei der Stadt» ließe er «von Brett und Balken ein rohes Theater nach meinem Plane herstellen und lediglich bloß mit der Ausstattung an Decorationen und Maschinerie versehen ‹…›, die zu der Aufführung des ‹Siegfried› nötig sind». Die Sänger engagierte er einzeln, Chor und Orchester würden aus «Freiwilligen» rekrutiert, die Werbung für sein «dramatisches Musikfest» liefe über Annoncen «in allen Zeitungen» – und der Eintritt wäre frei. «Ist alles in gehöriger Ordnung», fuhr Wagner fort, «so lasse ich dann unter diesen Umständen drei Aufführungen des ‹Siegfried› in einer Woche stattfinden: nach der dritten wird das Theater eingerissen und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen die Sache gefallen hat, sage ich dann: nun macht’s auch so!»
Abgesehen davon, dass die ökonomische Dimension in diesen ersten Entwürfen fehlt (welche Revolution fragt schon nach Bezahlbarkeit?) und das Festspielhaus bis heute nicht eingerissen wurde, hat sich am Festspielbetrieb seit Wagners Vision verblüffend wenig verändert: Die Sänger sind nach wie vor handverlesen, Chor und Orchester kommen immer noch freiwillig und opfern nicht selten die Sommerferien dafür (wie alle saisonalen Mitarbeiter der technischen Abteilungen auch). Nur Werbung im Sinne von Zuschauerwerbung braucht Bayreuth seit Jahrzehnten keine mehr, und wenngleich die Eintrittspreise im internationalen Vergleich ausgesprochen moderat sind, müssen sie doch erhoben werden. Das Verbrennen der Partituren allerdings, im übertragenen Sinn, besorgte die deutsche Geschichte: Die Handschriften der «Feen» wie des «Liebesverbots», von «Rienzi», «Holländer», «Rheingold», «Walküre» und dem dritten Akt des «Siegfried» wanderten 1939 aus dem Besitz der Wittelsbacher in einen Fonds der Reichswirtschaftskammer und von dort, zu dessen 50. Geburtstag, in die Hände Adolf Hitlers. Man weiß nicht, ob der Diktator sie in die Untiefen der «Wolfsschanze» versenkte, sie seiner privaten «Führerbibliothek» in der Villa Castiglioni am österreichischen Grundlsee einverleibte oder in den Berliner Bombenhagel warf – seit Ende des Zweiten Weltkriegs gelten sie jedenfalls als verschollen. Dem Mythos der Festspiele, dem Festhalten am Ritual tat das keinen Abbruch.
1874, nach zwei Jahren Bauzeit, bezog Wagner samt Familie das Haus Wahnfried, seinen
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