Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Geliebten Winifred Wagners. Sogar der bekennende Furtwängler-Freund Adolf Hitler beugte sich hier Winifreds Wünschen. Als Dirigent, Regisseur und begnadeter Strippenzieher in einer Person muss Tietjen, gutaussehend und menschenscheu, eine anachronistische Figur gewesen sein. Gemeinsam mit dem Bühnenbildner Emil Preetorius leitet er in den Dreißigerjahren die ästhetische Modernisierung der Festspiele ein, oft gegen den NS-Geschmack (ein Verdienst, das nach 1951 ganz und gar Wieland Wagner zugesprochen wird). Dabei ist der Konflikt mit Furtwängler vorprogrammiert, denn Tietjens ganzer Ehrgeiz gilt der Musik. Sein Verhältnis zu den Machthabern des «Dritten Reichs» bleibt gestört, man spürt seine intellektuelle Überlegenheit, sein Taktieren und traut ihm nicht. Wielands Versuch, Tietjen Anfang der Vierzigerjahre vom Grünen Hügel zu verjagen und selbst die Macht zu übernehmen, scheitert. Politisch rehabilitiert und künstlerisch weithin anerkannt stirbt Tietjen 1967.
Über V ICTOR DE S ABATA (1892–1967), der auf dem Bayreuther Foto ein bisschen aussieht wie Yehudi Menuhin und der zweite Italiener auf dem Grünen Hügel ist, kann ich ebenso wenig sagen wie über R ICHARD K RAUS (1902–1978). Beide sind jeweils nur einen Sommer lang vor Ort, der Mottl-Schüler H ERMANN A BENDROTH (1883–1956), der neben ihnen hängt, bringt es immerhin auf zwei. Im Wechsel mit Furtwängler dirigiert der Kölner Generalmusikdirektor und Leipziger Gewandhauskapellmeister bei den «Kriegsfestspielen» 1943/44 die «Meistersinger»: in gemessenen Tempi und mit viel schönem Fliederduft. Abendroths vermeintliches Paktieren mit den politischen Mächten vor und nach 1945 wird ihm zum Verhängnis. Die Bundesrepublik Deutschland (in Gestalt von Bundeskanzler Konrad Adenauer) erklärt den einstigen NSDAP-Parteibuchträger und Staatsbürger der DDR zur Persona non grata, größere Orchester bleiben Abendroth im Westen fortan verwehrt. Im Osten ist er nach dem Krieg «nur» noch Chef in Weimar und bei den Rundfunk-Symphonieorchestern in Leipzig und Ost-Berlin. Ein deutsch-deutsches Schicksal.
Mit Abendroth habe ich nicht einmal die Hälfte erreicht, noch nicht einmal die eine Seite der Ahnengalerie ganz abgeschritten. Trotzdem muss ich kurz innehalten. Die Kriegsfestspiele von 1944 sind vorläufig die letzten Festspiele, sieben Jahre später erst, 1951, wird sich der Vorhang wieder heben, dann über «Neu-Bayreuth». Dem Festspielhaus passiert im Krieg zwar so gut wie nichts, die Villa Wahnfried aber, Richard Wagners Wohnhaus und Sitz der Familie bis 1966, wird von einer Bombe verwüstet. Und überhaupt muss nach dem Krieg alles neu geregelt werden. Kann und darf es nach dem Ende des «Dritten Reichs» in Deutschland überhaupt «neue» Wagner-Festspiele geben? Wie soll man sie finanzieren? Wer soll sie leiten? Für welches Publikum? Wo kommen die Künstler her? Alle diese Fragen mussten beantwortet werden. Fast noch spannender aber finde ich, dass man es hier mit einer doppelten Zäsur zu tun hat: Mitte des 20. Jahrhunderts nämlich endet in Bayreuth auch jene musikalische Tradition, die sich mehr oder weniger direkt auf Richard Wagner berufen konnte. Zwischen 1940 und 1950 sterben die ersten beiden Generationen der Bayreuth-Dirigenten endgültig aus. Alle, die Wagner noch selbst erlebt hatten oder Schüler seiner Schüler waren, sind plötzlich weg und mit ihnen das Wissen um viele aufführungspraktische Details. Selbst wenn es einen authentischen «Bayreuther Stil» nie gegeben hat (wann hätte Wagner ihn auch prägen sollen?), selbst wenn Cosimas Priesterinnendienste die Sache eher verfälscht und verbogen haben, so muss sich in den ersten 70 Jahren nach Wagners Tod doch eine spezifische Aura, ein Geist, ein Funke gehalten haben, aus dem heraus musiziert wurde: so etwas wie der Glaube, mit dem musikalischen Drama die Welt zwar nicht verändern, aber doch erklären zu können. Dieser Geist begann sich nun zu verflüchtigen.
Richards Sohn, Siegfried Wagner, hat die «Wagner-Schule» nicht groß gepflegt – ein wesentlicher Grund für den Traditionsbruch. Die Dirigenten kamen zunehmend von außen, und die Suche nach geeigneten, möglichst prominenten Kandidaten gestaltete sich vor wie nach dem Krieg mühselig. Einer der wenigen, die hier noch eine Brücke schlugen, war H ANS K NAPPERTSBUSCH , der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper bis 1935. Knappertsbusch, Jahrgang 1888, heuert von 1909 bis 1912 als Assistent bei
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