Mein Leben mit Wagner (German Edition)
«heimatlichen Ruhesitz» am Rande des Bayreuther Hofgartens. Die Villa war ebenfalls ein Geschenk Ludwigs II. und will mit ihrer Halle, den Marmorbüsten und dem güldenen Nibelungen-Fries oben auf der Galerie vor allem eins sein: repräsentativ. Aus Wagners lebenslangen Fluchtburgen wird eine Götterfeste. Sein Hang zum Luxus, seine Vorliebe für seidene Unterwäsche, brokatene Vorhänge und Schabracken, kostbare Instrumente, teure Möbel und dergleichen war sprichwörtlich. Der Freund könne nicht nur nicht mit Geld umgehen, schrieb der Dirigent Heinrich Esser an den Verleger Franz Schott, sondern behaupte, nicht arbeiten zu können, «wenn er nicht als Grandseigneur lebe». Als komme alle Inspiration aus dem Überschwang, dem Überbordenden. In Wahnfried («Hier, wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried sei dieses Haus von mir benannt», lautet die Inschrift über dem Eingang) nahm dieser Hang dauerhafte Gestalt an.
Mich haben die Welten, die zwischen der Villa und dem Festspielhaus liegen, immer stutzig gemacht: Hier seine Walhalla, da das «schnell hergerichtete Holzbauwerk», unten Prunk, oben Protestantismus. Schon Wagner muss klar gewesen sein, dass er den Künstlern, die er sich wünschte, dem Wiener Hofkapellmeister Hans Richter oder Starsängern der Zeit wie Franz Betz und Lilli Lehmann, in Bayreuth keinen angemessenen Lebensstandard würde bieten können. Kein Grand Hotel und keine heißen Quellen und keinen Komfort, gar nichts Luxuriöses. Dabei ist es im Grunde geblieben. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wurden die Orchesterproben in besseren oder schlechteren Verschlägen abgehalten, es gab ja nichts anderes. Da reisten die honorigsten Musikerpersönlichkeiten an, die man sich denken konnte, die Herren Professoren Kammervirtuosen aus Wien und die Konzertmeister aus Dresden und Berlin – um in einer Bretterbude zu probieren und auf dem nächstbesten Bauernhof zu wohnen. Wenngleich heute ein paar Etablissements mehr existieren dürften in Bayreuth und das Orchester während der Probenzeit im Festspielrestaurant residiert: das Unterschreiten des eigenen «Standes», der Verzicht auf alle Privilegien gehört mit zum Festspielprinzip und hat für alle etwas sehr Entspannendes. Der Dirigent des «Fliegenden Holländers» verdient genauso viel oder wenig wie der der «Götterdämmerung», die Regiegagen halbieren sich mit jeder Wiederaufnahme (100 Prozent im Premierenjahr, 50 Prozent bei der ersten Wiederholung, 25 Prozent bei der zweiten usw.), der Lohengrin X, der ein Megastar ist, wird nicht anders bezahlt als der Lohengrin Y, der am Beginn seiner Karriere steht und eine tolle Stimme hat. Jenseits des roten Teppichs zur alljährlichen Eröffnung am 25. Juli sind die Bayreuther Festspiele absolut unglamourös, schon aus Prinzip – und selbst der Teppich wird noch in derselben Nacht wieder eingerollt. In Bayreuth sind tatsächlich alle gleich. Denn hier gibt es bis heute nur einen Star, und der ist seit 1883 tot.
Der Graben
Im Festspielhaus angekommen, führt mich mein allererster Gang immer durch den Graben. Ich muss ihn riechen, muss ihn inhalieren: das Holz, das teerige Schwarz, die Anstrengung und Mühe so vieler genialer (und weniger genialer) Stunden, den Stolz der Tradition auch, die Euphorie, wenn an einem Abend alles zusammenpasst. Seit den ersten Bayreuther Festspielen von 1876 sind hier unten, im sagenhaften «mystischen Abgrund», schätzungsweise 9700 Stunden Wagner gespielt worden, nur die Vorstellungen gerechnet, ohne Proben. Über 400 Tage Wagner am Stück! All diese Musik nistet tief in den Poren, Fasern und Ritzen. Sie hat das alte Gebälk regelrecht imprägniert, das spürt man.
Meist sind so früh in der Saison, Anfang Juni, die Stühle der Orchestermusiker noch beiseite geräumt und aufeinander gestapelt, Notenblätter liegen herum, Probenpläne vom vergangenen Jahr. Diesen Moment genieße ich sehr. Die Grabenluft ist für mich ein bisschen wie das Drachenblut, in dem Siegfried badet. Sie verleiht Mut und Stärke, sie kann ungemein beflügeln – aber auch ungemein einschüchtern. Sie sagt nicht, nur weil du heute in Bayreuth dirigierst, bist du für alle Zeit unverwundbar. Im Gegenteil: Wer in Bayreuth dirigiert und sich mit den sehr speziellen Gegebenheiten des Hauses arrangiert hat, setzt sich selbst die Grenzen. Der scheitert, wenn er scheitert, an den eigenen Möglichkeiten.
Hier, im Unterleib des Festspielhauses, ist man auch baulich nah dran an der
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