Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Konzertdirigent, kam also nicht in Frage; der Spitzbartträger Hans von Bülow tat einen Teufel, sich bitten zu lassen – schließlich hatte Wagner ihm Hörner aufgesetzt und seine Cosima verführt; Gustav Mahler war in Wien beschäftigt und außerdem Jude; mit dem kritischen Felix von Weingartner rasselte Cosima schon aneinander, als er Assistent war; Engelbert Humperdinck war wohl nur für Hilfsdienste geeignet und Ernst von Schuch nicht willig. Auch Bruno Walter, Erich Kleiber und Otto Klemperer vermisst man später, oder heute einen Riccardo Muti, einen Mariss Jansons. Doch was nicht ist, kann ja noch werden.
Die Dirigenten der Bayreuther Festspiele sind jedenfalls eine ziemlich ehrenwerte Gesellschaft. Oft denke ich mir, vielleicht gucken die berühmten Toten uns alle zu und finden es ganz fürchterlich, was wir machen. Oder annehmbar. Oder sogar schön. Die Vorstellung, dass das Haus Augen und Ohren hat, inspiriert mich ungemein.
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Spinnweben, Weihe, Wurstsalat:
Bayreuth und sein Grüner Hügel
Der Grüne Hügel der oberfränkischen Kleinstadt Bayreuth ist seit 1876 das Epizentrum der internationalen Wagner-Welt. Hier baute der Komponist sein legendäres Festspielhaus, hier schuf er die idealen Bedingungen für seine Kunst: geographisch, architektonisch, akustisch, politisch und künstlerisch. Ein Mekka mitten in der Provinz, im Herzen des blutjungen deutschen Kaiserreichs. Ein Ort für Mythen und selbst rasch der größte Mythos aller Wagnerei. Was Wagner-Rang und -Namen hat, gehört nach Bayreuth und will nach Bayreuth, bis heute. Publikumsschlachten wurden hier geschlagen, Ideologien missbrauchten das Festspielritual, musikalische und szenische Sternstunden setzten Maßstäbe. Richard Wagner ohne Bayreuth? Das kann ich mir noch nicht einmal abstrakt vorstellen.
Das Haus
Ich hatte immer das Gefühl, dass das Festspielhaus lebt. Es atmet, es horcht, es schaut dich an. Und es ist auf der Hut. Man muss hellwach sein, wenn man es betritt – und man muss sich ihm hingeben können. Solange man das tut, ist es treu. Jedes Fremdeln aber, jede Gleichgültigkeit verzeiht es nicht. Dann rächt es sich, dann ist es atmosphärisch und akustisch nicht mehr so anschmiegsam, dann macht es weniger Spaß, hier zu arbeiten. Das Haus ist wie ein kostbares Instrument oder eine anspruchsvolle Geliebte: Es will ernstgenommen werden. Man muss immer wieder neu um seine Gunst buhlen.
Meine erste Fahrt im Sommer hinauf auf den Grünen Hügel hat jedes Mal etwas von einer Initiation. Der schnellste und praktischste Weg aufs Festspielgelände führt über die Tannhäuserstraße, also von hinten herum. Da sind die Parkplätze, die Probebühnen und der Bühneneingang. Bin ich aber gerade erst angekommen in Bayreuth, nehme ich die Siegfried-Wagner-Allee, die «Auffahrtsallee». Ich muss das Festspielhaus einfach begrüßen, ich spüre förmlich, wie es das von mir verlangt. Und ich mag es, wie die alte Scheune da oben trotzt und thront und wie erhaben und klein zugleich man sich vor ihrem Antlitz fühlt. Manchmal bleibe ich auf halber Höhe stehen, öffne das Autofenster und hole tief Luft: Hier spielt die aufregendste Musik aller Zeiten! Hier tobt die größte Hysterie, die um ein Opernhaus je getobt hat! In der fränkischen Provinz, unter, sagen wir, familiären Bedingungen. Das Festspielhaus war und ist Tempel, Werkstatt und Wallfahrtsort zugleich. Seine unverwechselbare Mixtur aus Hemdsärmeligkeit und Heiligkeit, aus Weihe und Wagemut jagt mir bis heute Schauer über den Rücken. Und dann sehe ich wenige Tage nach meiner Ankunft die Ratten in Hans Neuenfels’ «Lohengrin»-Inszenierung über die Bühne trippeln und frage mich: Wie geht das alles bloß zusammen?
Wagners Scheune: Das Bayreuther Festspielhaus
Wie Richard Wagner nach Bayreuth kam, ist gründlich erforscht und oft beschrieben worden. Zwei Dinge trieben ihn: seine Festspielidee – und die Frage, wie er sich seinem Großmäzen, Gönner und Herzensverehrer Ludwig II. entziehen konnte, ohne ihn vollends zu verprellen (und das heißt: ohne auf sein Geld verzichten zu müssen). Gegen Wagners Willen hatte der König «Rheingold» und «Walküre» 1869/70 in München uraufführen lassen, jetzt plante er den «Siegfried». Wagner musste handeln, und zwar schnell. Im Brockhaus las er den Artikel über das Markgräfliche Opernhaus von Bayreuth und stattete dem Städtchen im April des Reichsgründungsjahres 1871 einen ersten Besuch ab. Das Barocktheater erwies sich
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