Mein Leben mit Wagner (German Edition)
verweigert, aus Angst oder Arroganz, tritt meist böse ins Fettnäpfchen. Es gab Kollegen, die verlangt haben sollen, dass die ersten Geigen links sitzen und die zweiten rechts – wie überall sonst in der Welt. Auf dem Grünen Hügel ist das seit jeher andersherum, mit gutem Grund. Wenn ein Geiger seine Geige an den Hals setzt, zeigen die F-Löcher, aus denen der Schall dringt, nach rechts. Die ersten Geigen, säßen sie wie üblich links vom Dirigenten, würden in Bayreuth also konstant gegen den Grabendeckel spielen. Das hat Richard Wagner nicht gewollt, denn es hätte, vereinfacht ausgedrückt, die hohen Töne und Frequenzen stumpf gemacht, und deshalb wurden die Gruppen getauscht. Für den Dirigenten ist das wie der Linksverkehr beim Autofahren in England: Anfangs verwirrt es, aber man gewöhnt sich daran.
Was ebenfalls verwirrt, ist die Nachhallzeit des Festspielhauses. Die Zahlen sind da leider nicht einheitlich, manche sprechen von 1,8 oder 1,9 Sekunden, andere von märchenhaften 2,25 Sekunden (nur das Teatro Colón und die New Yorker Met bringen es auf annähernd so viel). Doch wie dem auch sei: Im Graben hat man das Gefühl, dass der Klang ewig lange steht, und das verführt zu breiten Tempi, die «draußen», im Saal, gar nicht so gut ankommen. Wenn ich Wagners Musik zu sehr knete und auswalze, ist die Folge oft jene falsche Weihe, jenes Zelebrieren, gegen das der Theaterpraktiker Wagner allergisch gewesen sein muss. Wie ermahnt er seine Sänger noch am Tag der ersten «Rheingold»-Aufführung, am 13. August 1876? «Eine letzte Bitte: !Deutlichkeit!/ – Die grossen Noten kommen von selbst: Die kleinen Noten und ihr Text sind die Hauptsache! –». Was das heißt, habe ich selbst erst vor Ort wirklich begriffen: Ich darf unten im «Abgrund» keine Nebel wallen lassen, nicht einen auf Aura machen, sondern muss peinlich genau darauf achten, was in den Noten geschrieben steht.
Auch Regisseure und Ausstatter – apropos Gesamtkunstwerk – haben mit der Akustik bisweilen zu kämpfen. Geschlossene Bühnenbilder etwa, die zu viel Wandfläche besitzen und den Schall zu stark reflektieren, sind in jedem Opernhaus ein Problem; in Bayreuth können sie katastrophale Folgen haben. Weil sich der Schall dann fängt und keine elegante S-Kurve mehr nimmt, sondern Beulen und Löcher kriegt. Das hört sich fast wie übersteuert an. Ein heikles Thema ist auch die Positionierung der Sänger auf der Bühne. Mit den üblichen Konflikten zwischen Regisseur und Dirigent – der eine will den Raum, der andere die Rampe – hat das nichts zu tun. Wenn die Sänger in Bayreuth zu weit vorne im Proszenium, sprich an der Rampe stehen, klingen viele Stimmen schrill, sogar die, die es erwiesenermaßen nicht sind. Auch hier fängt sich der Schall, und es klingt plötzlich wie ein ausgeleiertes Tonband. Ich finde das bezeichnend, denn es bedeutet: Wagner wollte kein Rampentheater. Die Opernkonventionen des 19. Jahrhunderts waren ihm seit seinen Dresdner Tagen ein Dorn im Auge und im Ohr. Insofern hat sich in Bayreuth die Mär vom fettleibigen Rampensänger frühzeitig erledigt, seit 1876 nämlich, aus rein architektonischen Gründen. Was nicht heißt, dass wir Wagner nicht immer wieder gegen seine Rezeption zu verteidigen hätten.
Meine einzige Dirigentenschule
Bayreuth ist die einzige Dirigentenschule, die ich je besucht habe. Hier habe ich gelernt, mein Herz zu domestizieren. Das Festspielhaus konfrontiert einen mit sich selbst. Das ist nicht immer angenehm, aber auf Dauer doch erhellend. Ich habe mich stets als einen eher intuitiven Musiker begriffen. In Bayreuth musste ich einsehen, dass ich meine emotionale Seite auf keinen Fall betonen darf. Sie brachte mich nicht weiter, und oft kam dabei, mit Verlaub, bloß ein gepflegter Brei heraus. Ich saß in der Genussfalle, im Grabenschaumbad. Anfangs wusste ich noch nicht, dass das Opium dieses Hauses dosiert werden will. Ich war schockiert und dachte, mir würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Da hieß es dann, das gehe jedem Neuling so. Zwar tröstete mich das nicht sonderlich, aber ich sagte mir: Ich höre jetzt einfach auf Wolfgang Wagner und die Assistenten. Ich versuche einfach mal, brav und folgsam zu sein. Als ich mit den «Meistersingern» auf dem Grünen Hügel debütierte, war ich 41 Jahre, ein Alter, in dem man als Dirigent einigermaßen gefestigt ist. Das war ich auch, und meine künstlerischen Ansichten deckten sich sehr oft nicht mit dem, was man mir in
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