Mein Leben mit Wagner (German Edition)
persönlich merke mir keine Noten, sondern Klänge, Stimmungen, Farben – und deren Verläufe. So lege ich mir einen emotionalen Ariadnefaden durch das Werk. Der führt, der leitet mich.
Regiefragen
Mit Regisseuren hatte ich bislang nur wenige wirklich befriedigende Erlebnisse. Inzwischen fühle ich mich oft unterfordert. Entweder die Kollegen beherrschen die Materie nicht und wollen zwar Stücke zertrümmern, aber keine Noten lesen – dann ist es sinnlos, mit ihnen zu diskutieren, worüber auch. Hinter diesem (von den Feuilletons gerne gehätschelten) Habitus verbirgt sich meist nackte handwerkliche Unfähigkeit: Den Opernregie-Debütanten, der mit Kopfhörern über den Ohren und einem Reclam-Heft in den Händen auf die erste Probe kommt, habe ich selbst erlebt. Der Jungspund, der einen mit großen Augen anschaut, wenn man ihm erklärt, dass es sich bei Wagners «Fliegendem Holländer» um eine Chor-Oper handelt – alles schon dagewesen. Oder aber die Herren und Damen Regisseure verstehen etwas von Musik und versinken dermaßen in Ehrfurcht, dass sie darüber ihre eigentliche Aufgabe vergessen und nur noch Ja und Amen sagen. Da fehlt mir dann der Widerstand, die Reibung, der Funke. Zu viel Widerstand, dritte Variante, kann allerdings auch lähmen: Wenn der Regisseur niemanden neben sich duldet, dann gibt es – mit mir – meist schnell Krach, dann macht die Arbeit keinen Spaß mehr. Mit Götz Friedrich hatte ich an der Deutschen Oper Berlin oft Krach.
Götz Friedrichs berühmter «Zeittunnel»: Szenenfoto aus der «Götterdämmerung» 1985 an der Deutschen Oper Berlin (mit René Kollo als Siegfried)
Ideale Opernregisseure waren für mich Ruth Berghaus und Jean-Pierre Ponnelle. Weil sie Partituren lesen konnten, weil sie ihre Inszenierungen grundsätzlich aus der Musik heraus entwickelten, weil sie einerseits genau wussten, was sie wollten, und andererseits souverän genug waren, sich auch einmal beirren zu lassen. Götz Friedrich hingegen konnte mit zunehmendem Alter recht starrsinnig sein. Dann bestand er auf szenischen Aktionen, obwohl sie zu Lasten der Musik, der Koordination oder des Klangs gingen; dann hing alles Wohl und Wehe seiner Inszenierung plötzlich von einer einzelnen Sängerbesetzung ab, zu der es stimmlich bessere Alternativen gegeben hätte. Als junger Generalmusikdirektor hatte ich einen Heidenrespekt vor meinem Intendanten, immerhin war Friedrich knapp 30 Jahre älter als ich. Tritt mir heute ein Regisseur mit unumstößlichen Ansichten entgegen und habe ich das Gefühl, diese Ansichten verhindern oder zerstören die Atmosphäre, die ich musikalisch erzeugen möchte, dann werde ich pragmatisch. Dann versuche ich, möglichst viel von meiner eigenen Haut zu retten. Ein erfüllender künstlerischer Dialog aber, eine Auseinandersetzung sieht anders aus.
Mit Hans Neuenfels würde ich gerne einmal arbeiten, mit Peter Stein, Luc Bondy oder Patrice Chéreau. Regisseure, bei denen die Kunst stark ist und das Handwerk stimmt. Mit Philippe Arlauds «Frau ohne Schatten» in Berlin war ich sehr glücklich, die Begegnung mit Christoph Loy in Salzburg 2011 beim selben Stück gehört ebenfalls zu meinen guten Erfahrungen. Fragen der Chemie und der Arbeitsweise spielen sicher auch eine Rolle, und was Wagner betrifft, wäre zu klären, ob man mehr am großen Weltentwurf interessiert ist (wie ich) oder mehr an die Diskontinuitäten, Brüche und Unversöhnlichkeiten in seinem Werk glaubt. Ruth Berghaus hat mich gelehrt, wie aufregend es sein kann, auf der Bühne das eine zu zeigen und im Graben das andere zu dirigieren – solange der Eros stimmt, die Sensibilität füreinander, der Respekt. Ich bin sicher kein Dirigent, der Regieästhetiken um der Regieästhetik willen ermöglicht, wie Michael Gielen das in den frühen Achtzigerjahren in Frankfurt getan hat oder Ingo Metzmacher in den späten Neunzigern an der Hamburgischen Staatsoper. Ich möchte nicht, dass man hinterher sagt, er hat diesem oder jenem Regisseur den Steigbügel gehalten. Ich möchte, dass es heißt, er hat den «Ring» gut oder schlecht dirigiert.
Bei unserem Bayreuther «Ring» 2006 war das der Fall – freilich um einen hohen Preis. Ich hätte mir gewünscht, dass Tankred Dorst und seine Co-Regisseurin Ursula Ehler den Begriff der Bayreuther «Werkstatt» ernster genommen hätten, die einzigartige Chance, in den Jahren nach der Premiere szenisch in Revision zu gehen. Das war leider nicht der Fall, und so ist in diesem «Ring»
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