Mein Leben mit Wagner (German Edition)
zwischen den Personen viel zu wenig passiert. Überhaupt scheint mir das eines der wesentlichen Desiderate der modernen Opernregie zu sein. Ob die Figuren auf der Bühne nun Mao-Anzüge tragen oder das bei Wagner sprichwörtliche Bärenfell, ist in dem Augenblick zweitrangig, in dem man merkt, es werden Beziehungen ausgelotet, es geht um das, was zwischen Menschen passiert. Heute verhält es sich oft genau umgekehrt: Gusseiserne Ästhetiken mit riesigen theoretischen Überbauten, komplizierteste Bühnenbilder und viel mediales Trara bannen alle Energie und Aufmerksamkeit. Weil sich kaum noch jemand auf eine kluge, reflektierte Personenregie versteht.
Ursprünglich sollte anstelle von Tankred Dorst der dänische Dogma-Filmer Lars von Trier 2006 in Bayreuth den «Ring» inszenieren. Das wäre zweifellos ein Coup gewesen und hätte die «Ring»-Rezeption des 21. Jahrhunderts in eine vollständig andere Richtung gelenkt, weit weg von unserem erschöpften Interpretieren, Psychologisieren und Dekonstruieren. Im Nachhinein ist den Wagners vorgeworfen worden, sie hätten sich um das Gelingen dieses Projekts nicht genug gekümmert oder wären aus Angst vor der eigenen Courage frühzeitig eingeknickt. Ich bin dabei gewesen und kann zweierlei versichern: Angst kannten die Wagners keine, und bemüht haben sie sich in außerordentlicher Weise. Eine ganze Nacht durfte Lars von Trier allein im Festspielhaus verbringen, um die Magie des Ortes zu erspüren und in sich aufzusaugen, monatelang meditierte er zuhause vor dicht gepflasterten «Ring»-Pinnwänden, alle Beteiligten waren für ihn jederzeit ansprechbar. Mir gefiel seine exzessive Hingabe ebenso wie sein unverstellter, gleichsam naiver Zugang. «Gefühlsmäßig» sollte Wagner erlebt werden, das betonte er immer wieder. Ich fühlte mich in meinem musikalischen Wollen erkannt und bestätigt.
Aber natürlich war er auch schwierig und verrückt. Ich erinnere mich an einen Besuch zusammen mit Wolfgang und Gudrun Wagner in Kopenhagen im Frühjahr 2004. Der Norden machte seinem schlechten Ruf alle Ehre, es war kalt, feucht und ungemütlich, und wir hatten uns über von Triers Konzept die Köpfe heiß geredet. Plötzlich stand er auf, riss sich sozusagen die Kleider vom Leib und sagte, er ginge jetzt schwimmen, ob jemand Lust hätte mitzukommen. Uns blieben die Münder offen stehen – und er sprang tatsächlich draußen im Garten in den eiskalten Pool. Ich glaube, für solche Eskapaden brachte Wolfgang Wagner nicht viel Verständnis auf.
Die Idee aber, den «Ring» als großes Illusionstheater zu begreifen und in einer Atmosphäre der «bereicherten Dunkelheit» spielen zu lassen, hatte etwas ungemein Verlockendes. Lars von Triers Erklärung dafür war schlagend: Wenn im Stück A über B zu C führt, dann zeigen wir auf der Bühne nur A und C und überlassen B dem Zuschauer. Die Vervollständigung des Geschehens in den Köpfen der Zuschauer, das Publikum als notwendiger Bestandteil des Gesamtkunstwerks – Richard Wagner hätte jubiliert! Die technische Umsetzung dieses «schwarzen Theaters», dieses «Zaubertheaters» freilich erwies sich als horrend kompliziert und hätte am Ende jeden personellen, finanziellen und zeitlichen Rahmen gesprengt. Sänger, die von Statisten hätten gedoubelt werden müssen, ein System von Gazeschleiern, durch das nicht nur die Sicht des Dirigenten eingeschränkt gewesen wäre, die schwindelerregende Choreographie der «Lichtflecken» und Videoprojektionen, um «A» und «C» kenntlich zu machen – je konkreter die Vorbereitung wurde, umso höher türmten sich Fragen und Zweifel. Schließlich trat Lars von Trier zurück, gerade noch rechtzeitig, und verfasste zur Erklärung eine «Abtretungsurkunde». Eine Inszenierung wie die seine hätte nicht den winzigsten Fehler toleriert, heißt es darin, und dass er die theaterpraktischen Realitäten zu wenig berücksichtigt habe: «Ich behaupte nicht, dass es unmöglich gewesen wäre, durch meinen krankhaften Drang zum Perfektionismus aber wäre es die Hölle geworden.»
So sehr ich das Scheitern dieses Projekts bis heute bedaure, so sehr hatte Lars von Trier mit dieser Selbsteinschätzung wohl Recht. Den Text seiner «Abtretung» aber, der eine bemerkenswerte Haltung zu Wagner formuliert, möchte ich allen Wagner-Regisseuren dringend ans Herz legen. Von Trier schreibt: «Siegfried und Wotan und Fafner und Brünnhilde und alle anderen sind wirklich und leben in einer wirklichen Welt. Sie sind in
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