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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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«Meistersingern von Nürnberg», da spielt Wagner auf höchst intelligente und vergnügliche Weise mit der Opernkonvention.
    Hier ein kleines chronologisch-kursorisches Wagner-Bestiarium:
    R IENZI ist nicht nur der letzte der (römischen Volks-)Tribunen, wie es im Untertitel der Oper heißt, sondern auch Tenor und Wagners erster einsamer Held. Er stirbt in den Flammen des Kapitols (Ähnlichkeiten mit der «Götterdämmerung» nicht ausgeschlossen) – und mit ihm Wagners Begehrlichkeiten in Richtung Grand Opéra .
    D ER H OLLÄNDER hat keinen Namen und ist der Inbegriff der rastlosen, unerlösten Seele, außerdem reflektiert er Wagners Erlebnisse auf der Flucht von Riga nach London über die stürmische Ostsee. Seine Stimmlage ist Bariton, und was er sucht, ist die unverbrüchliche Liebe und Treue einer Frau. Sie allein kann ihn von seinem ewigen Umherirren auf hoher See erlösen. In S ENTA (Sopran) meint er diese Frau gefunden zu haben, immerhin verliebt sie sich in sein Bild, lange bevor er überhaupt einen Fuß an Land setzt. Aber auch der junge Jäger E RIK (Tenor) zeigt ein starkes Interesse an Senta, und schon finden wir uns in der besagten Dreieckskonstellation wieder. Was insofern nicht so gravierend ist, als der «Holländer» auch formal noch stark der Konvention gehorcht und noch halb zu Wagners Nummernopern zählt: Arie reiht sich an Arie, Ensemble an Ensemble. Wagners spätere Musikdramen dagegen sind durchkomponiert, eine einzige «unendliche Melodie».
    T ANNHÄUSER ist Wagners zweiter tenoraler Titelheld und schwankt – wie Wagner selbst? wie jeder Mann? – zwischen dem apollinischen und dem dionysischen Prinzip, zwischen Eros und Agape, der sinnlichen Lust und der reinen Liebe. Letztere bietet ihm die fromme E LISABETH , erstere genießt er bei V ENUS im Venus- beziehungsweise Hörselberg. Elisabeth singt Sopran, Venus eher Mezzosopran. Sonderlich differenziert werden beide Frauen musikalisch nicht gezeichnet, weshalb Wagner sie im dritten Akt leicht verschwinden lassen kann. Berühmt ist Elisabeths Hallenarie («Dich, teure Halle, grüß’ ich wieder»), danach betet sie noch einen Rosenkranz und stirbt. W OLFRAM ist Wolfram von Eschenbach (der Dichter des mittelhochdeutschen «Parzival»-Epos) und singt im «Tannhäuser» mit dem «Lied an den Abendstern» die vielleicht schönste Arie, die Wagner je komponiert hat. Wolfram ist die leichtgewichtigste Bariton-Partie im Wagner-Fach. Und der Abendstern ist natürlich die Venus.
    Auch L OHENGRIN , Tenor und Schwanenritter (er segelt von einem weißen Schwan gezogen über die Schelde, was zahllose Karikaturen provozierte), hat zwei Akte lang keinen Namen. Dann aber muss er seine Identität preisgeben, weil E LSA sich nicht an das Frageverbot hält: «Nie sollst du mich befragen», hatte Lohengrin sie gleich nach seiner Ankunft gewarnt. Elsa aber fragt, weil O RTRUD sie dazu treibt. Anders als im «Tannhäuser» geben diese beiden ein sehr ungleiches Frauenpaar ab: Elsa ist die Naive, nicht sonderlich Vielschichtige, die an ein «Lieb ohne Reu’» glaubt – die böse, intrigante Ortrud aber verfügt zusammen mit dem ihr hörigen T ELRAMUND über die spannendste und progressivste Musik der ganzen Oper. Das ist bei Wagner oft der Fall: Die höheren Stimmen sind als Charaktere, vorsichtig ausgedrückt, eher gradlinig, während die tieferen Stimmen gerne den Klügeren, Gewitzteren, Gebrocheneren gehören. Ortrud ist ein dramatischer Sopran oder Mezzosopran, Telramund ist Bariton. Auch K ÖNIG H EINRICH , ein Bass, der die verschiedenen Parteien gegeneinander aufwiegelt, gehört hier dazu, wie auch sein ebenfalls königlicher Basskollege Marke aus dem «Tristan».
    T RISTAN und I SOLDE sind das Wagnersche Liebespaar schlechthin: der Heldentenor und der dramatische Sopran, die irische Königstochter und der Vasall aus dem feindlichen Cornwall, der Mörder von Morold (Isoldes ehemaligem Verlobten) und die Heilerin, der Nachtwandler und die Rächerin. Im realen Leben gibt es wenig, das die beiden füreinander geschaffen sein lässt; in ihrem erotischen Begehren aber, das durch den Zaubertrank gestiftet wird, kennen sie buchstäblich nur noch sich: «Tristan ich, nicht mehr Isolde», singt Isolde, und «ich Isolde, nicht mehr Tristan», dichtet Wagner für Tristan in feinster Spiegelkabinettmanier. Erst am Ende trennen sich die Wege der Liebenden: Er geht an einer veritablen Wunde zugrunde (die er sich im Kampf halb selbst zugefügt hat), sie, nun ja,

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