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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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«Rheingolds». Der Verlust der Liebe, das ist der Preis, den Brünnhilde und Siegfried zahlen.
    Bleibt Wagners letztes Werk, das für Bayreuth komponierte «Bühnenweihfestspiel» «Parsifal». Die Frauen finden sich hier, seltsam genug, auf Hure (die B LUMENMÄDCHEN ) und /oder Hexe (K UNDRY ) reduziert. Und die Männer- und Gralsgesellschaft kränkelt traurig vor sich hin: Der alte Gralskönig T ITUREL kann nicht sterben, weil sich die Wunde seines Sohnes A MFORTAS nicht schließen will, auch der getreue Ritter G URNEMANZ weiß sich schon lange keinen Rat mehr, und selbst K LINGSOR , der Zauberer, der sich selbst entmannte, um zur keuschen Ritterschaft dazuzugehören, trägt schwer an seinem Los. Sie haben, was ungewöhnlich ist, allesamt tiefe Stimmen, sind Bässe oder Baritone. Die Erlösung kann also nur von einem Tenor kommen – und das tut sie prompt: P ARSIFAL heißt er und ist der «reine Tor», er treibt seine Mutter in den Tod, schießt friedliche Schwäne vom Himmel, alles völlig arglos. Zwei Anläufe und ein paar Jahre braucht Parsifal, um zu begreifen, was menschliches (männliches?) Miteinander braucht: Empathie, Anteilnahme, die richtigen Fragen, um «durch Mitleid wissend» zu werden. Dann wird er zum neuen Gralskönig gekrönt.
    Mit wem Richard Wagner sich am meisten identifiziert hat? Mit jedem seiner Helden, mit jedem zu seiner Zeit. Er ist Tristan neben seiner fernen Geliebten Mathilde Wesendonck; er ist Wotan, der Bayreuth realisiert und wie der Göttervater als «Wanderer» aus dem eigenen Werk verschwindet; und am liebsten möchte er, wie jedes rastlose Genie, sicher Hans Sachs sein und nicht immer noch weiter getrieben werden vom eigenen Kunstwähnen, sondern Ruhe finden, Einkehr, ein Sich-Bescheiden.
    Umgekehrt übrigens tun sich die Literatur und vor allem das Kino mit der Person Richard Wagners irrsinnig schwer. In Filmen über Ludwig II. von renommierten Regisseuren, ob Helmut Käutner, Luchino Visconti oder Hans Jürgen Syberberg, kommt der Komponist über sein Klischee selten hinaus. Irgendwie endet es immer wie in dem US-amerikanischen Streifen «Magic Fire» («Frauen um Richard Wagner», 1955, Regie Wilhelm Dieterle), der auf Herrenchiemsee und am Originalschauplatz, in Bayreuth, gedreht wurde. Der Komponist Erich Wolfgang Korngold (immerhin) spielt hier Hans Richter und dirigiert im Festspielhausgraben irgendwelche abstrusen Arrangements, Carlos Thompson gibt dank einer irren Perücke Franz Liszt, und am Schluss stirbt Wagner mit einem sehnsüchtigen Blick auf Venedig. Eine Seifenoper ist nichts dagegen.

III

Wagners Musikdramen

 
    Wunderkinder haben es in der Rezeption leicht: Blitzt einem aus Mendelssohns Streichersymphonien nicht schon die Eleganz seiner «Sommernachtstraum»-Musik entgegen? Lassen Mozarts Geigensonaten KV 6 und 7 (die Werke eines Achtjährigen) nicht bereits sein «Dissonanzen-Quartett» KV 456 erahnen? Aber ja. Mit allen anderen Anfängern hingegen tut sich die Musikwelt schwer. Die meisten ersten Gehversuche scheinen den Blick aufs Eigentliche, Spätere, Meisterhafte mehr zu verstellen als entwicklungsgeschichtlich zu erhellen. Sie gelten als wackelig, sperrig, roh – und werden kaum beachtet.
    Bei Richard Wagner ist das ganz extrem so. Wenn man Glück hat, setzt der gemeine Opernführer in seiner Werkbetrachtung bei «Rienzi» ein, Wagners dritter vollendeter Oper, uraufgeführt 1842. Was davor liegt («Die Feen» von 1834, «Das Liebesverbot» von 1836), findet bestenfalls in der Einleitung Erwähnung – von noch Früherem ganz zu schweigen. Wie hart Wagner sich seinen Weg zum Musiktheater erarbeiten musste, macht ein Blick in seine künstlerische Biographie klar: Im «Wagner-Werk-Verzeichnis» (WWV) trägt das «große Trauerspiel» «Leubald» (1826–1828) die Nummer 1, und bei diesem Shakespeare-Potpourri kommt es überhaupt nur zum Text. Es folgen 1830 das Fragment einer namenlos gebliebenen «Schäferoper» nach Goethes «Die Laune des Verliebten» sowie, zwei Jahre später, «Die Hochzeit», eine «Schaueroper», deren Manuskript Wagner vernichtet, als seine Schwester Rosalie ihm gesteht, wie abscheulich sie Sujet und Handlung findet. Das Ganze erzählt von der tragischen Versöhnung zweier Patrizierfamilien: Erst wirft die Braut an ihrem Hochzeitstag einen heimlichen Verehrer vom Balkon, dann wird sie wahnsinnig und sinkt – ein Charakteristikum vieler Wagner-Frauen – «entseelt» zu Boden. Überliefert ist von der «Hochzeit»

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