Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Auf diese Stellen wartet das Publikum, die dramatischen Ausbrüche bis hinauf zum hohen A bilden den Prüfstein für jeden Tenor.
Just daran war schon Joseph Tichatschek gescheitert, der Uraufführungs-Tannhäuser. Einerseits erregte er Wagners Unwillen, weil er offenbar «keine Ahnung von seiner Aufgabe als dramatischer Darsteller» hatte, andererseits konnte oder wollte er die «Erbarm dich meins» nicht mit der nötigen Leidenschaft «hervorschleudern». Schließlich musste Wagner die Stelle streichen und damit den «Mittelpunkt des ganzen Drama’s». In einem Brief an Franz Liszt von 1851 heißt es allerdings wenig später, die Schlüsselstelle wären Tannhäusers Verse unmittelbar vor diesem Ausbruch, nämlich «Zum Heil den Sündigen zu führen, /die Gott-Gesandte nahte mir: /doch, ach! sie frevelnd zu berühren /hob ich den Lästerblick zu ihr!» So arg kann Wagner um Ersatz also nicht verlegen gewesen sein.
Das ändert nichts daran, dass man für die Partie des Tannhäuser im Grunde zwei Stimmen braucht: eine lyrischere für den Beginn und eine gewichtigere für den zweiten und dritten Akt. Ähnliche Ungereimtheiten gibt es später bei Isolde und Brünnhilde. Besonders pfleglich hat Wagner für seine Sänger nicht komponiert. Ihm ging es um die Wirkung, ums musikalische Drama. Als Dirigent aber muss ich mich fragen: Was nützt mir ein Tannhäuser, der schon vor der Romerzählung aus dem letzten Loch pfeift? Und was nützt mir meine ganze hochmögende Interpretation, wenn sie die technischen, konditionellen, mentalen und emotionalen Befindlichkeiten der anderen nicht mitreflektiert? Der gute Kapellmeister lässt seine Sänger singen, möglichst locker, ganz entspannt. Er sollte seine Sänger tragen, mit ihnen atmen, er sollte es im kleinen Finger haben, dass der Tannhäuser heute mehr Luft hat als sonst, und wenn er sich dafür von einem bestimmten Tempo verabschieden muss, dann ist das eben so.
Aufnahmen
Der «Tannhäuser» hat eine aufregende Aufführungsgeschichte. Siegfried Wagners Bayreuther Inszenierung von 1930 etwa erregte vor allem durch das Bacchanal Aufsehen, das ganz im Stile des deutschen Ausdruckstanzes gehalten war, mit mehreren Pferden und 32 Hunden auf der Bühne – und natürlich durch das Dirigat Arturo Toscaninis. Erhalten hat sich ein Mitschnitt vom August 1930 (Naxos), allerdings mit Karl Elmendorff am Pult, dem «Ring»-Dirigenten der Saison, der hier offenbar einsprang. Toscaninis fanatische Genauigkeit im Umgang mit dem Notentext mag im Orchester spürbar sein, trotzdem ist Elmendorff aus anderem Holz geschnitzt. Um eine Ahnung davon zu bekommen, wie sensationell Toscaninis unprätentiöses, nüchternes Wagner-Bild in den frühen Dreißigerjahren auf dem Grünen Hügel gewirkt haben muss, schaue man sich auf Youtube an, wie er 1948 am Pult seiner NBC-Symphoniker die Ouvertüre dirigiert: mit großrädrigen Gesten, fast puritanisch in der Behandlung der Venusberg-Thematik, kompromisslos und radikal, was das geforderte Pianospiel betrifft.
Die Bayreuther «Tannhäuser»-Geschichte setzt sich fort mit Mitschnitten von 1954 (Josef Greindl als Landgraf, Ramón Vinay als Tannhäuser und der junge Dietrich Fischer-Dieskau als Wolfram, bei Archipel) und 1955 (Wolfgang Windgassen singt den Tannhäuser, bei Orfeo). Am Pult finden sich nun die von Wieland Wagner bevorzugten «lateinischen» Wagner-Dirigenten Joseph Keilberth und André Cluytens, Musiker, die auf eine schlanke Klanggebung setzen und ausgesprochen straffe Tempi. Zu ihnen gesellt sich wenig später Wolfgang Sawallisch, der Wielands Neuinszenierung von 1961 leitet. Für Furore sorgt hier die amerikanische Mezzosopranistin Grace Bumbry als «schwarze Venus», in der Aufnahme von 1961 an der Seite von Victoria de Los Angeles als Elisabeth (Myto), 1962 dann neben Anja Silja (Philips). Exakt zehn Jahre später bescherte Götz Friedrich den Festspielen mit seinem geradezu Beckettschen «Tannhäuser»-Endspiel einen der größten Skandale nach 1945. Es dirigierte der erfahrene Erich Leinsdorf (von dem zwei Mitschnitte aus der Met erhältlich sind, von 1939 und 1941), Gwyneth Jones sang Elisabeth und Venus, was sich nur wenige Sopranistinnen leisten können und trauen sollten. Ein Mitschnitt dieser Aufführung existiert meines Wissens nicht.
Bemerkenswert sind außerdem: George Szell 1954 live an der New Yorker Met, weil er Toscanini Konkurrenz zu machen versucht (mit Astrid Varnay, Ramón Vinay und George London, eine
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