Mein Leben mit Wagner (German Edition)
«Rheingold» noch einmal ganz von vorne an. Beim «Lohengrin» sagt er: Ich schreibe jetzt die schönste und melodiöseste Oper, die ihr euch vorstellen könnt, ihr dürft alle in Milch und Honig baden, ich serviere der Welt einen echten Theaterknaller, ich statte die Sänger mit lauter dankbaren, süffigen Partien aus (was sonst gar nicht meine Art ist), ich mache den Chor zum Protagonisten, euch, das Volk, ihr dürft alle Requisiten haben – aber dann muss Schluss sein! Dann tanzt ihr nach meiner Pfeife, dann werde ich euch zeigen, was es mit dem «Kunstwerk der Zukunft» wirklich auf sich hat.
Der «Lohengrin» steht wie ein Katalysator in Wagners Œuvre. Der Meister träumt noch nicht einmal vom Bayreuther Festspielhaus – und antizipiert in dieser frühen Partitur doch nichts anderes. Auch das ist Genie, auch das ist Werkstatt.
Entstehung
Als der «Lohengrin», Wagners dritte und letzte «romantische Oper», am 28. August 1850 unter Franz Liszt uraufgeführt wird, strömt die europäische Intelligenzia nach Weimar: Giacomo Meyerbeer, Bettine von Arnim, der Schriftsteller Karl Gutzkow, Kritiker aus London und Paris und viele mehr. Die Erwartungen sind hoch, die Reaktionen verhalten. Der Einzige, der dem Ereignis nicht beiwohnen kann, ist der Komponist selbst. Als Königlich Sächsischer Hofkapellmeister hatte er 1849 an den Dresdner Mai-Aufständen teilgenommen (die nach vier Tagen blutig niedergeschlagen wurden), er ließ Flugblätter drucken, transportierte Handgranaten, kurz: er war «freischaffend für die Revolution tätig». Wagners letzte Amtshandlung ist ein Konzert am 1. April 1849 mit Beethovens Neunter Symphonie. «Alle Menschen werden Brüder»? Das Pathos, die aufgewühlte Theatralik dieser Aufführung kann man sich wohl vorstellen. Bis heute streiten sich die Gelehrten darüber, was Wagner in der Revolution von 1848/49 wohl sah: ein echtes Politikum, die Chance zur Verwirklichung radikaldemokratischer Ideen? Oder doch mehr die Erhebung einer kollektiven, in der Kunst sich bündelnden Leidenschaft, wie er sie wenig später in seinen theoretischen Schriften formulieren und fordern sollte? Ich bin da unschlüssig.
Seit dem 16. Mai 1849 wird Wagner in Deutschland steckbrieflich gesucht. Mit Unterstützung von Liszt und einem falschen Pass setzt er sich in die Schweiz ab, um gleich weiter nach Paris zu reisen. Dort haben sich die Umstände sehr zu seinem Nachteil verändert: «Wie es jetzt steht, hält Meierbeer Alles in seiner Hand, – d.h. in seinem geldsacke; und der Pfuhl der zu durchschreitenden Intrigen ist zu groß, daß ganz andere und pfiffigere Kerle wie ich es längst aufgegeben haben.» Mit seiner Oper «Le Prophète» spielt Meyerbeer in Paris weit über eine Million Francs ein, ein Schlittschuhläufer-Ballett (!) und der spektakuläre Einsatz von elektrischem Licht geben Wagner den Rest und besiegeln seinen lebenslangen Hass. «Wenn Raubmörder ein Haus anstecken, so muss uns dies mit Recht gemein und ekelhaft vorkommen», spekuliert er im Oktober 1850 in einem Brief an Theodor Uhlig, «wie wird es uns aber erscheinen, wenn das ungeheure Paris in Schutt gebrannt ist, ‹…› wir selbst endlich in Begeisterung diesen unausmistbaren Augiasstall ausmisten, um gesunde Luft zu gewinnen?»
Zurück also in die Schweiz, zurück nach Zürich, wohin ihm Minna im Herbst 1849 maulend folgt. Ehekrisen und Existenzängste prägen die nächsten Jahre. Wagner empfindet es als demütigend, aus der Ferne Klinken putzen zu müssen, ohne sich um die künstlerischen Belange seiner Opern kümmern zu können. Trotzdem braucht er das Geld. Und trotzdem wird sein «Lohengrin» in den ersten zehn Jahren nach der Uraufführung von über 20 Theatern nachgespielt. Der Komponist selbst hört sein Werk erstmals 1861 in Wien, im selben Jahr übrigens wie der 15-jährige bayerische Kronprinz in München. 1864 besteigt dieser als Ludwig II. den Thron der Wittelsbacher und holt, dem Komponisten längst schwärmerisch verfallen, Richard Wagner an seinen Hof.
Die erste Beschäftigung Wagners mit der Lohengrin-Sage reicht in die Zeit seines ersten Paris-Aufenthalts 1839 zurück. Als Quellen gelten Wolframs von Eschenbach «Parzival», den Wagner während einer Kur in Marienbad 1845 studiert (in der Übersetzung von Karl Simrock), sowie Texte von Joseph Görres und Jacob Grimm. Die Genese des Werks ist einigermaßen zerrissen: Das Libretto liegt bereits Ende 1845 fertig vor, erste Kompositionsskizzen
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