Mein Leben mit Wagner (German Edition)
fabelhafte Sängerbesetzung, bei Myto); Franz Konwitschny 1960 mit der Berliner Staatskapelle – wegen Fritz Wunderlich als Walther von der Vogelweide und erneut Dietrich Fischer-Dieskau, der (im Studio) den sicher schönsten, sensibelsten und modernsten Wolfram der Musikgeschichte singt (EMI); und, für mich, Herbert von Karajan Anfang 1963 live aus der Wiener Staatsoper, weil man hier merkt, was für ein exzellenter Theaterkapellmeister der vermeintliche Jetset-Star gewesen ist (Deutsche Grammophon). Die Freunde der Pariser Fassung seien entweder an Georg Solti und die Wiener Philharmoniker verwiesen (1970 mit René Kollo in der Titelpartie und Christa Ludwig als Venus, bei Decca) oder an Giuseppe Sinopoli und das Philharmonia Orchestra – eine Studioproduktion von 1989, die allerdings unter einem schwer unidiomatisch singenden Plácido Domingo leidet (Deutsche Grammophon).
Im Übrigen muss man zu Bayreuth sagen: Den «Holländer» dort zu dirigieren, ist hart, weil sich seine Lautstärken so schlecht mit der Mischklangästhetik des Festspielhauses vertragen. Der «Tannhäuser» ist nicht laut, im Gegenteil, es gibt kaum eine andere Wagner-Partitur, in der so viele Piani notiert sind. Trotzdem erweist sich der gedeckelte Orchestergraben abermals als nicht besonders günstig. Es gibt Stellen für die Geigen im zweiten Akt, deren mörderisch schwere Sechzehntel-Kaskaden man draußen undankbarerweise kaum hört. Denn unterm Deckel verwischt so etwas gerne. Der Einzug der Gäste hat es ebenfalls in sich: Der Chor singt hier ganze Noten («Freudig begrüßen wir die edle Halle»), die Geigen spielen ganze Noten, dieselbe Melodie, hübsch zusammen – und der Dirigent hört den Chor (zumal wenn dieser von ganz hinten kommt) den berüchtigten Tick zu spät. Da hilft nur der Chordirektor, der sagt: Einfach weiter dirigieren, ganz kapellmeisterlich, ganz klar, bloß nichts zaubern wollen.
Was einen allerdings immer mit Bayreuth versöhnt, ist der Pilgerchor. In jedem anderen Opernhaus der Welt muss man das Orchester hier bis aufs Blut quälen: Leiser, leiser, leiser, leiser! Es steht piano in der Partitur, liebe Fagottisten und liebe Hornisten, bitte mit Ansatz spielen, aber keine Akzente! «Aus großer Ferne sich langsam nähernd», schreibt Wagner in der Regieanweisung, die mehr eine Klanganweisung ist. Im offenen Graben klappt das nicht, da klingt es viel zu direkt. In Bayreuth dagegen klingt das Orchester von selbst indirekt, als kämen die Pilger wirklich aus Rom über die Alpen. Wichtig ist, dass das Orchester an dieser Stelle auf Linie spielt, nicht auf Rhythmus, es darf das Atmen nicht vergessen, muss gehen, anstatt einzelne Schritte zu zelebrieren. «Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen». Es ist eine komponierte Ehrfurcht, ein heiliger, mit bangem Schauder erwarteter Moment. Die geläuterten Pilger, Wolfram als Mittler und Beobachter, die enttäuschte Elisabeth: Nirgends klingt das so schön wie auf dem Grünen Hügel.
6
Flutlicht aus dem Jenseits, Liebe ohne Reue:
«Lohengrin»
Der «Lohengrin» ist eine Rattenfängeroper. Was Wagner allein durch die Instrumentierung in der Psyche des Publikums auslöst! Das ist reinste, Klang gewordene Erotik. Die Mischung der Register, die verschiedenen Klangvaleurs nehmen einem schier den Atem. Plötzlich weiß man gar nicht mehr: Wer spielt da eigentlich gerade bei den Streichern? Oder wenn er Horn und Cello kombiniert, an sich ein alter Hut, dann stützt er sie in der tiefen Lage gern mit den Posaunen, in der höheren Lage mit den Trompeten – und schon fragt man sich: Sind das jetzt Bläser oder Streicher? Solche Amalgamierungen jagen mir Wonneschauer über den Rücken. Die Emanzipation des Klangs von seiner Machart: Das ist «Lohengrin». Diese Musik schlägt Saiten in mir an, die alle Sinne in Aufruhr versetzen. Dem Publikum, glaube ich, geht es ähnlich.
Ratten in Bayreuth: Inszenierung des «Lohengrin» von Hans Neuenfels 2010 bei den Bayreuther Festspielen (mit Annette Dasch als Elsa)
Den «Lohengrin» hat Wagner in dem Bewusstsein komponiert: Einmal und nie wieder! Jedenfalls gibt es sehr viel mehr Verbindungen von «Holländer» und «Tannhäuser» zum «Ring» als vom «Lohengrin» aus. Der «Lohengrin» führt mehr zum «Parsifal» hin (allein durch die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Titelhelden), aber auch das nicht sonderlich beflissen und konkret. Nach dem «Lohengrin» macht Wagner Tabula rasa und fängt beim
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