Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Lohengrin umgibt ein gleißender Strahlenkranz aus vielfach geteilten Geigen. Gleichzeitig spiegeln sich die Motive Lohengrins und Elsas ineinander, ja sogar Ortruds Sphäre findet sich darin geborgen. Es ist eine Welt, in der wir leben, sagt Wagner – das Gute wird niemals ohne das Böse, der Himmel nie ohne die Hölle zu haben sein.
«Lohengrin» ist auch die erste Oper, für die Wagner keine Ouvertüre mehr schreibt, sondern ein «Vorspiel». Ich möchte diesen Begriffswechsel nicht überbewerten, die Abkehr aber von der italienischen und französischen Opernkonvention, die darin zum Ausdruck kommt, ist deutlich. Wagner möchte eine eigene Tradition begründen und befindet sich auf dem besten Wege dahin. Außerdem hat das «Lohengrin»-Vorspiel – im Gegensatz zu den Ouvertüren des «Holländer» und des «Tannhäuser» – alles andere als ein effekthascherisches Ende. «Ohne Pause weitergehen», schreibt Wagner unter die transzendierenden Streicher des Schlusses, und schon geht es weiter: mit König Heinrich und seinen Mannen, mit der ersten Szene des ersten Aktes.
Das Flutlicht aus dem Jenseits, mit dem dieses Vorspiel beginnt, ist rückhaltlos bewundert worden. Franz Liszt sprach von «einer Art Zauberformel», Peter Tschaikowsky sah darin Verdi vorweggenommen, «das letzte Schmachten der sterbenden Traviata», und Thomas Mann rief gar die ganze Oper zum «Gipfel der Romantik» aus. Wer die Partitur studiert, merkt, mit welcher unglaublichen Vorstellungskraft Wagner hier zu Werke geht, mit wie viel Poesie, Handwerk und Chuzpe! Bei den Geigen spielen einige Flageolett, andere nicht, nach und nach setzen die übrigen Streicher ein, ebenfalls geteilt, dann schleichen sich Oboen und Flöten dazu – und alles zusammen genommen ergibt ein silbriges Geglitzer und Geflirre, als würde man auf sonnenbeschienene Wellen schauen und geblendet werden. Bei einem guten Dirigenten übrigens hört man den Einsatz der Holzbläser nicht, das ist wie mit den Fagotten und Hörnern im Pilgerchor des «Tannhäuser». Wagner wollte keine Stufen erklimmen, sondern Farben mischen. Das macht er im «Lohengrin» mit dem großen Orchesterpedal, dem Rauschen aller Instrumente, von ganz oben bis nach ganz unten und wieder hinauf, von den Haar- bis in die Zehenspitzen und über die Eingeweide wieder zurück – einzigartig!
Ähnlich grandios gestaltet er den Schluss der Szene im Brautgemach. «Weh! Nun ist all unser Glück dahin!», singt Lohengrin, «tief erschüttert», nachdem Elsa ihm die verbotene Frage gestellt hat und der Attentäter Telramund gefallen ist. Den aufmerksamen Hörer wird dieses «Weh! Nun ist all unser Glück dahin!» an etwas erinnern, nämlich an Lohengrins «woher ich kam der Fahrt, /noch wie mein Nam’ und Art!» im ersten Akt, an den zweiten Teil von «Nie sollst du mich befragen» also. Gleiches Motiv, gleiche Harmonien, nur doppelt so langsam – und eine völlig andere Stimmung. Mehr Tiefenlage, mehr Requiem, nur fahles Cello. Und dann diese Glocke, die wie eine Totenglocke aus galaktischer Ferne herüberspukt. Überhaupt, immer wenn bei Wagner die Spannung auf dem absoluten Siedepunkt angekommen ist, passiert plötzlich gar nichts mehr. Nur ein einsamer Glockenschlag noch oder ein Paukenwirbel, wie nach Telramunds Tod. Erst Riesentumult, Elsa schreit «Rette dich! Dein Schwert! Dein Schwert!», und dann nur Stille, Stille, Stille. Vier Takte Pauke allein. Da denkt man, das Herz bleibt einem stehen. Und was setzt Wagner gegen diese lastende, lähmende Depression? Den Reitermarsch, schmetternde Fanfaren, «Heil, König Heinrich! /König Heinrich Heil!», mit zehn, zwölf Trompeten auf der Bühne! Was für ein verrückter, toller Kontrast! Wie im Film! Dieser Hund.
Das Wort zu Bayreuth ist oben schon gefallen: Mit dem «Lohengrin» strebt Wagner Effekte an, Klangwirkungen, die sich für ihn erst viel später auf dem Grünen Hügel haben verwirklichen lassen. So gesehen ist der «Lohengrin» ein Stück Utopie – was leider nicht heißt, dass er besonders gut ins Festspielhaus passt. Vor allem im Vorspiel zum dritten Akt machen sich die Grenzen des Bayreuther Grabens doch arg bemerkbar. «Sehr feurig, doch nie übereilt», schreibt Wagner, und das sollte man unbedingt beherzigen. Das schwere Blech, die Virtuosität des ganzen Orchesters, das ist fulminant, das muss rasen, es muss auch mal knallen mit den vielen Triolen und Punktierungen, nur darf man’s nicht überziehen. Der versierte
Weitere Kostenlose Bücher