Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Kapellmeister wird immer sagen, in Bayreuth dirigiere ich dieses Vorspiel um drei Prozent langsamer als im offenen Graben, damit die Musik deutlich bleibt. Der «mystische Abgrund» mischt, wo es vielleicht gar nichts zu mischen gibt. Außerdem schluckt er die Obertöne, und eine Partitur, die so auf Glanz gebürstet ist wie die des «Lohengrin», wird hier immer mattierter klingen als in München oder Wien.
Somit stellt sich beim «Lohengrin» für den Dirigenten eine wichtige Frage zum ersten Mal in aller Klarheit: Wieviel Struktur braucht Wagners Musik? Wieviel verträgt sie? Wie löse ich den Widerspruch zwischen Atmosphäre und Deutlichkeit, Misch- und Spaltklang? Die Antwort geben einem Handwerk, Gefühl und Erfahrung.
Aufnahmen
In den Anfängen der Bayreuther Festspiele wird der «Lohengrin» auf dem Grünen Hügel nur mit großen zeitlichen Lücken gespielt. Felix Mottl ist 1894 der erste am Pult, gefolgt von Siegfried Wagner 1908/09, danach ist erneut ganze 27 Jahre lang Pause. Dann aber, 1936, ist der Bayreuther «Lohengrin» offizieller Beitrag zu den Olympischen Spielen in Deutschland und zur 1000-Jahr-Feier des Deutschen Reichs. Wilhelm Furtwängler dirigiert, Heinz Tietjen inszeniert, Franz Völker ist Lohengrin, Maria Müller die Elsa. Der in Auszügen überlieferte Mitschnitt vom 19. Juli offenbart eine musikalische Sternstunde (Archipel): Mit welch zärtlicher Mühelosigkeit, wie erfüllt und deutlich hier gesungen wird und wie zauberhaft, im wahrsten Wortsinn, das Orchester klingt! Kurz darauf wurde mit derselben Besetzung für Telefunken ein «Best of» im Studio eingespielt, diesmal unter Tietjens Leitung, ebenfalls hörenswert (Malibran Music). Dass diese Partien gesungen werden wollen und nicht gesprochen, gerufen oder gebrüllt, ja dass gerade der Wagner-Gesang seine Wurzeln im italienischen Belcanto hat, diese Tradition setzt sich in Bayreuth nach dem Krieg zunächst fort. Ihre Protagonisten heißen Sándor Kónya und Leonie Rysanek (in der Aufnahme unter André Cluytens von 1958, bei Myto) oder, vier Jahre später, Jess Thomas, Ramón Vinay, Astrid Varnay und, nicht ganz so lieblich, Anja Silja (Wolfgang Sawallisch dirigiert, bei Decca).
Sängerisch bemerkenswert ist auch die kaum beachtete Studioaufnahme von Wilhelm Schüchter mit dem Sinfonieorchester des NDR von 1953, leider Mono, doch dafür mit Gottlob Frick als König, Rudolf Schock als Lohengrin (der die 1936er-Vorstellungsserie in Bayreuth als Sänger im Festspielchor miterlebte), Margarete Klose als aasiger Ortrud und Josef Metternich als kantablem Telramund (Walhall Eternity). Sicher gibt es auch sehr respektable neuere Aufnahmen. Wer in Sachen «Lohengrin» sicher gehen möchte, greife trotzdem nach wie vor zu Rudolf Kempes Studioproduktion mit den Wiener Philharmonikern von 1964 (EMI). Sie besitzt Referenzcharakter: wegen des standfesten Jess Thomas in der Titelrolle, wegen Elisabeth Grümmers jungmädchenhaft inniger Elsa und wegen eines bösen Paars, das an Schneid und lyrisch-dramatischer Messerschärfe bis heute seinesgleichen sucht: Christa Ludwig und Dietrich Fischer-Dieskau. Und bei Gottlob Fricks König Heinrich fühlt man sich ohnehin gut aufgehoben.
Die Inszenierungsgeschichte des «Lohengrin» kann ich hier natürlich nicht wiedergeben. Seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts aber wird die Oper vom sogenannten Regietheater sehr gemocht. Auf dem Grünen Hügel machen Inszenierungen von Götz Friedrich (1979) und Werner Herzog (1987) Furore, und an der Hamburgischen Staatsoper verpflanzt Peter Konwitschny das schwärmerisch-pubertäre Geschehen 1998 kurzerhand in ein Klassenzimmer. Der aktuelle Bayreuther «Lohengrin» von 2010 stammt aus der surrealistisch-zeichenhaften Ideenschmiede von Hans Neuenfels und seinem Ausstatter Reinhard von der Thannen. Der Chor steckt in Ratten-Kostümen, Elsa und Ortrud treten als weiße und schwarze Schwäninnen gegeneinander an, statt Gottfried kommt am Ende Rosemaries Baby zur Welt (frei nach Roman Polanski) – und Lohengrin ist in diesem Laboratorium der Affekte Projektionsfläche für alles und nichts. Die Aufführung, dirigiert von dem jungen, großartig begabten Letten Andris Nelsons, genießt schon heute Kultstatus.
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«Tristan und Isolde»
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Die «Tristan»-Harmonien lösen Gefühle in mir aus, die ich kaum beschreiben kann: eine Sinnlichkeit, eine Erregung, eine Wachsamkeit, ein Genussschmeckenwollen. Als ich zum ersten Mal den
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