Mein Leben mit Wagner (German Edition)
Künstler – und schon geht alles schief. Schon brechen sämtliche Konflikte auf, die man vorher so hübsch unter den Teppich gekehrt hatte.
Allerdings sollte man sich davor hüten, «Lohengrin» etwa mit der «Götterdämmerung» zu verwechseln: Der Gralsgesandte ist nicht Jung-Siegfried, der die ganze Welt retten soll (und die Kunst gleich mit) – und «Lohengrin» ist immer noch eine «romantische» , ja hochromantische Oper und kein Musikdrama. Ritter, die in «glänzender Silberrüstung» von Schwänen oder Tauben übers Wasser gezogen werden, Jungfrauen, die sich ihre Liebe mit Frageverboten erkaufen müssen – diese Geschichte atmet viel Märchenduft. Das muss man unbedingt respektieren und in sein Recht setzen. Als Kind übrigens hielt ich Schwäne für nette, liebe Tiere. Daran ist nur Richard Wagner schuld. Das Leben hat mich erst später eines anderen belehrt.
Persönlich tue ich mich schwer damit, Elsa ihre alles verderbende Frage zu verzeihen. Warum macht sie das? Eigentlich ist im dritten Akt alles in bester Ordnung, Hochzeitsmarsch und Hochzeitsnacht, der Schaumwein perlt, das Kaminfeuer knistert, die Bettwäsche ist frisch gestärkt. «Das süße Lied verhallt; wir sind allein, /zum ersten Mal allein, seit wir uns sahn», singt Lohengrin «sehr ruhig» im Piano. Sicher, Ortrud hat Gift gespritzt, und dieses Gift wirkt jetzt. Wenn Elsa aber klüger wäre und erfahrener, dann ließe sie sich davon nicht irritieren und verführen. Eine raffinierte Ehefrau würde alles Herzensnagen begraben und vergessen und erst einmal schauen, was das Leben bringt. Fragen kann sie immer noch, auch in drei oder vier Jahren, wenn der Hunnenkrieg der Sachsen und Brabanter gewonnen ist und die Verhältnisse sich gefestigt haben. Nur leider, und das wusste Richard Wagner, sind die Elsas dieser Welt nicht so. Außerdem ergäbe sich aus einer solch spießbürgerlich-pragmatischen Konstellation keine spannende Oper.
Die Botschaft des «Lohengrin»? Am Ende zumindest, für Gottfried und die anderen Zurückbleibenden, lautet sie: Der Mensch muss vergessen können. Er muss die Kerben, die Narben in seiner Biographie akzeptieren, Schmerz, Schuld, Heimtücke und Verlust. Sonst kann er nicht weiterleben. Er muss sich seiner Geschichte bewusst sein, aber er darf nicht versäumen, nach vorne zu blicken. «Weh!», ruft der Chor am Schluss, während Lohengrin «mit gesenktem Haupte, traurig auf seinen Schild gelehnt» entschwindet. Das heißt: Der Held als Held hat keine Zukunft. Deshalb dieses «Weh!», fortissimo und in schwärzestem fis-Moll. Die Welt hingegen, die Lohengrin verlässt, hat sehr wohl eine Zukunft, sie heißt Gottfried und ist der neue Herzog von Brabant. A-Dur, der Vorhang fällt langsam.
Musik
Die «Lohengrin»-Partitur ist von großer Schlichtheit und größter Raffinesse, sie ist naiv und sentimentalisch, melodiös und avanciert. Mit dem «Tannhäuser» mag Wagner sein Leben lang hadern; der «Lohengrin» glückt ihm auf Anhieb. Im «Tannhäuser» nimmt Wagner von der Spieloper Abschied; im «Lohengrin» setzt er der deutschen romantischen Oper ein Denkmal und überwindet sie zugleich. Ein Held, der seinen Namen nicht nennen darf, der Gral als eine übergeordnete Instanz, die im Unsagbaren, Unerreichbaren, ja Göttlichen siedelt – all das trägt bereits so viel von der Kunstmythologie des «Parsifal» in sich, dass man sich nicht wundert, wie ratlos das Weimarer Premierenpublikum 1850 reagierte.
Formal ist der «Lohengrin» Wagners erstes wirklich durchkomponiertes Werk. Stärker als im «Tannhäuser» setzt er hier auf die Kunst des Übergangs: Das motivische und harmonische Material der drei Akte ist so dicht miteinander verwoben, der Orchestersatz so symphonisch organisiert, dass sich allfällige «Nummern» wie Elsas traumwandlerischer Auftritt im ersten Akt oder der Hochzeitsmarsch, das Liebesduett und die Gralserzählung im dritten Akt wie von selbst daraus ergeben. Darüberhinaus trifft Wagner charakteristische Zuordnungen: Lohengrin und der Gralswelt gehört in ihrer «blau-silbernen Schönheit» (Thomas Mann) die Tonart A-Dur, dem Antagonistenpaar Ortrud /Telramund das finstere, wilde fis-Moll (die Paralleltonart), und alles, was den König meint, tritt in ebenso plakativem wie letztlich leerem C-Dur hervor. Verschränkt wird dies mit der Instrumentation: Der König hat die Blechbläser auf seiner Seite, Ortrud /Telramund werden von Holzbläsern und tiefen Streichern grundiert, und
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