Mein Leben mit Wagner (German Edition)
der beiden gibt darüber keine Auskunft, er liegt nur in Rudimenten vor. Vielleicht ist diese Frage aber gar nicht so wichtig. Sicher gibt es da eine leidenschaftliche Beziehung, eine hoch erotische Seelenverwandtschaft; auch erklärt man sich einander, korrespondiert mehrmals täglich, sie schenkt ihm eine goldene Feder, er schreibt damit Chiffren wie «I. l. d. gr.!!» («Ich liebe dich grenzenlos!!») in die Partitur der «Walküre». Außerdem dichtet sie, und er vertont ihre Gedichte, woraus 1857/58 die «Tristan»-nahen «Wesendonck-Lieder» entstehen. Minna ist ohnehin längst eifersüchtig, Otto Wesendonck bald auch. Anders aber als bei Cosima von Bülow, die 1870, nach der Geburt dreier gemeinsamer Kinder, seine zweite Frau wird, sieht Wagner in Mathilde keine Zukunft – oder sie nicht in ihm. Seine materielle Lage ist und bleibt aussichtslos, zudem hat er gegenüber der herzkranken Minna ein schlechtes Gewissen. Was für schreckliche emotionale Verstrickungen! Bereits im Dezember 1854 schreibt Wagner an Liszt: «Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopf einen Tristan und Isolde entworfen, die einfachste, aber vollblütigste musikalische Conception; mit der ‹schwarzen Flagge›, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken um – zu sterben.»
Mathilde Wesendonck, 1860 porträtiert von Johann Conrad Dorner
Kunst statt Leben also, Musik statt Liebe? Bei solchen Selbststilisierungen ist Vorsicht geboten. Zumal es noch einen anderen, handfesten Grund für den «Tristan» gibt: Nachdem es ihm nicht gelingen will, für den «Ring» einen Verlag zu finden, braucht Wagner Geld, und zwar schnell. Im August 1857, mitten in der Komposition des zweiten Akts «Siegfried», schiebt er den «Ring» beiseite und wendet sich seinem «Tristan»-Vorhaben zu. Der Text liegt im Herbst vor (Quellen und Inspiration bieten ihm Gottfrieds mittelalterliches Epos «Tristan und Isolt», Novalis’ «Hymnen an die Nacht», August von Platens «Tristan»-Gedicht sowie Karl Ritters gleichnamiges Drama), am 1. Oktober beginnt Wagner mit der Musik. Viel Ruhe ist ihm nicht vergönnt: Im Januar flüchtet er kurzfristig nach Paris, offenbar wird ihm die Sache mit Mathilde doch zu brenzlig, im April kommt es zur Katastrophe: Minna fällt einer seiner Briefe an die Geliebte in die Hand. Nach länglichem Hin und Her wird das Gartenhaus im August aufgelöst und mit ihm die Ehe. Wagner verschwindet nach Venedig, Minna nach Dresden. Trotzdem kann der Komponist im Frühjahr 1859 die ersten beiden Akte des «Tristan» abschließen. Danach kehrt er in die Schweiz zurück, wo er am 6. August in Luzern den Schlusspunkt unter die Partitur setzt. Es ist Otto Wesendonck, der unterdessen die Rechte am «Ring» gekauft und so dem «Pumpgenie» Richard Wagner finanziell wieder Luft verschafft hat.
Bis zur erfolgreichen Münchner Uraufführung von «Tristan und Isolde» am 10. Juni 1865 vergehen allerdings noch fast sechs Jahre. Straßburg, Karlsruhe, Paris, alle winken ab, die Anforderungen, die das Werk stellt, scheinen unüberwindbar zu sein. In Wien wird 1864 ein letzter Versuch nach 77 Proben abgebrochen. Man sage nicht, die Welt hätte sich um das «Kunstwerk der Zukunft» nicht bemüht! «Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muß mir jetzt begegnen», ächzt Wagner, «sonst ist’s aus!»
Dieses Wunder nimmt am 10. März 1864 mit 18 Jahren auf dem bayerischen Königsthron Platz und hat nur darauf gewartet, sich mit Richard Wagner offiziell verbünden zu können. Seit seinem «Lohengrin»-Erlebnis beschäftigt sich Ludwig II. mit wenig anderem als mit Wagners Schriften, Dichtungen und Bühnendekors. Als eine seiner ersten Amtshandlungen lässt er den Künstler in Stuttgart aufstöbern, der einigermaßen Fassungslose bekommt einen Brillantring und eine kolorierte Fotografie des Königs überreicht. Schon am nächsten Tag, am 4. Mai 1864, steht Wagner in der Münchner Residenz vor Ludwig – und es ist, wie Hans Neuenfels formuliert, «Wahn auf den ersten Blick». Doch wie fruchtbar wird dieser Wahn für die europäische Musikgeschichte sein! Wagner ist gerettet, von einer Sekunde auf die andere, von allem Unbill, allen Nöten erlöst. «Unsere gestrige Zusammenkunft war eine große, nicht enden wollende Liebesszene», schwärmt er
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