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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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Tristan-Akkord hörte, wusste ich: Das ist der Akkord des Lebens. Denn es ist alles drin: Spannung, Sehnsucht, Begehren, Melancholie, Schmerz – aber auch Entspannung, Ruhe und eine tiefe Lust. Wahrscheinlich wird jetzt die gesamte Musiktheorie gegen mich auf die Barrikaden steigen, immerhin gilt dieser Akkord als Inbild des heillos zerrissenen, garantiert unruhigen und unlustigen Individuums. Ich kann das bis heute nicht so empfinden. Und ist es nicht viel interessanter, frage ich mich, den Zerrissenen zu zeigen, der mit sich und der Welt Frieden schließt – ohne sein Zerrissensein zu leugnen? Diese Dialektik (ein schrecklicher Begriff) hat Wagner für mich im «Tristan» komponiert.
    «Tristan und Isolde» war Jahrzehnte lang meine absolute Lieblingsoper. Ich schwor mir, dass sie nie von etwas anderem übertroffen werden sollte. Doch irgendwann kamen die «Meistersinger» und schoben sich in einer Weise vor den «Tristan», die ich nie für möglich gehalten hätte. Gibt es größere denkbare Gegensätze als die zwischen dem «Tristan» und den «Meistersingern»? Das Alptraumstück schlechthin, das in den Giftschrank gesperrt gehört, und Wagners einzige komische Oper? Aber so ist es bei Richard Wagner: Er bricht permanent in die entgegengesetzte Richtung auf, er nötigt uns zum Neuen. Gut möglich, dass er nach dem «Parsifal» nur noch Symphonien geschrieben hätte.
    Trotzdem bleibt der «Tristan» der Gipfel aller Opernkunst, die Oper aller Opern, die Inkunabel, das Schlüsselwerk. Der «Tristan» ist die Summe und die Ausnahme von allem. Mit dem «Tristan» setzt Wagner da an, wo er im «Lohengrin»-Vorspiel aufhört: bei einer Musik, die verführt, die uns in die Irre leitet und unsere Grenzen verkennen lässt. Spring, raunt Wagner mir ins Ohr, trau dich, es ist nur ein kleiner letzter Schritt. Und schon sehe ich mich oben auf dem Berliner Funkturm stehen und sehnsüchtig in die Tiefe starren. Das Spiel mit dem Feuer, das Spiel mit der Existenzialität macht Wagner zum größten Schöpfer und Visionär seiner Zeit – und gleichzeitig zum größten Zerstörer. Denn was sollte neben dem «Tristan» noch Bestand haben? Was hat seither Bestand? Besser als der Meister selbst (in einem Brief an Mathilde Wesendonck) kann man die Hybris seiner siebten Oper kaum ausdrücken: «Kind! Dieser Tristan wird was furchtbares! Dieser letzte Akt!!! – – – – – – – Ich fürchte die Oper wird verboten – falls durch schlechte Aufführung nicht das Ganze parodirt wird –: nur mittelmässige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen, – ich kann mir’s nicht anders denken. So weit hat’s noch mit mir kommen müssen!!»
    Entstehung
    Jetzt wird es in der Chronologie etwas verwickelt. Seit Frühjahr 1849, wie gesagt, befindet sich Wagner im eidgenössischen Exil und bringt dort zunächst einige seiner zentralen Schriften zu Papier, «Die Kunst und die Revolution», «Das Kunstwerk der Zukunft» sowie im Herbst 1850 «Oper und Drama». Wie soll es für ihn weitergehen, in der Fremde, vom heimischen Theaterleben abgeschnitten, mittellos, unglücklich verheiratet, ohne Stellung, «losgelöst von allem»? Das Schreiben, das Sich-Rechenschaft-Geben wirkt wie ein Ventil, mit einem Mal hat Wagner den Kopf wieder frei. Er beginnt, an einem neuen Projekt zu arbeiten, einer «Heldenoper» namens «Siegfrieds Tod», die sich alsbald zum «Ring des Nibelungen» auswachsen soll, einem vierteiligen «Bühnenfestspiel». Eine monströse Konzeption und Kraftanstrengung. Ende 1853 nimmt Wagner die Vertonung der Dichtung in Angriff, schmerzhafte Gesichtsrosen und strapaziöse Wasserkuren wechseln sich ab, Linderung ist nicht in Sicht: «Kein Wein, kein Bier, keinen Kaffee, – sondern nur: Wasser und kalte Milch. Keine Suppe, sondern alles kühl oder lau. Früh im Bett 3 bis 4 Gläser kaltes Wasser, dann Abwaschung und kaltes Klystir.» Wagner liest Schopenhauer, verkehrt in deutschen Exilrevolutionärskreisen und dirigiert 1854 ein paar schlecht bezahlte Konzerte in London. Derweil werden die freundschaftlichen Bande zu seinem Gönner, dem rheinländischen Seidenfabrikanten Otto Wesendonck, und dessen Frau Mathilde immer enger. 1857 vermieten die Wesendoncks den Wagners auf dem Grundstück ihrer neu erbauten Villa in Enge bei Zürich ein Gartenhaus mit Blick über den Zürichsee.
    War Mathilde Wesendonck mehr als Richard Wagners platonische Geliebte? Der Briefwechsel

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