Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
von Nick Cave gelesen: Und die Eselin sah den Engel. Es fiel mir auf, weil er so nah daran herankommt, das Leben in dieser einsamen Hütte einzufangen. Keiner der bekannteren Südstaaten-Autoren wie Carson McCullers oder Flannery O’Connor hat das für mich geschafft; es klingt, als wären sie Zeugen dieses Lebens gewesen, hätten es aber nicht selbst gelebt. Aber Nick Cave kommt verdammt nah heran. Mehr als jeder andere.
Bücher haben mir geholfen, da draußen zu überleben. Zu Fuß erreichbar waren nur das Gericht und die Bücherei. Die einzige Lektüre, die mich in dem Alter interessierte, war Horror, und so habe ich die paar zerfledderten Taschenbücher, die es dort gab, viele Male gelesen. Die Romane von Stephen King und Dean Koontz habe ich öfter gelesen als Billy Graham seine Bibel. An manch einem langen, zermürbenden Sommertag haben sie mir Gesellschaft geleistet.
Später entdeckte ich dann den Gipfel des Horrors: die Inquisition. Zum ersten Mal stieß ich auf dieses Grauen im Buch eines geisteskranken Erwachsenen. Der Titel lautete ungefähr Das Kinderbuch der Teufel und Dämonen. Es war voll von Geschichten (und Holzschnitten) von Hexen, die Orgien feierten und Schlange standen, um den Arsch des Teufels zu küssen; sie fraßen kleine Kinder und verfluchten Menschen, sodass sie Krämpfe bekamen. In diesem Buch wurde nicht erklärt, dass diese Dinge nichts als die Fieberträume und irrwitzige Erfindungen religiöser Fanatiker waren, als die man sie in der aufgeklärten Welt von heute kennt. Sie wurden geschildert, als wären sie wahr, ganz so, wie sie ursprünglich zur Zeit der Inquisition publiziert wurden. Weiteres Grauen weckten die Schilderungen von Menschen, die gefoltert und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden, nur weil jemand sie beschuldigt hatte, Hexen zu sein. Es wurde beschrieben, wie sie erdrosselt, verbrannt, gevierteilt, ertränkt und verstümmelt wurden, damit sie gestanden, dass sie auf Besenstielen zu geheimen Zusammenkünften geflogen waren.
Die Wirkung, die das alles auf meinen jungen Verstand hatte, kann man gar nicht übertrieben genug darstellen. Ich lag nachts im Bett und hatte Angst, mich zu rühren, während meine Fantasie entsetzliche Bilder heraufbeschwor. Ich hatte bereits die Szenen von Hölle und Verdammnis im Kopf, die mir von Jack und seinen wunderbaren Freunden, den guten Leuten seiner Kirche, eingehämmert worden waren, und diese neuen Entdeckungen trugen nicht dazu bei, mein Grauen zu lindern. Wenn ich gewusst hätte, dass ich in wenigen kurzen Jahren der gleichen Hexenjagd ausgeliefert sein, dass man die gleichen Vorwürfe gegen mich erheben würde und dass die gleichen gnadenlosen Fanatiker mich einsperren und zum Tode verurteilen würden, wäre mein Herz wahrscheinlich vor lauter Angst an Ort und Stelle zerplatzt. Wer hätte gedacht, dass man in einem Buch über die Vergangenheit die Zukunft sehen kann?
Ich war unglücklich und stand unter einem enormen Druck, denn ich glaubte, ich würde für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren, weil ich es mir nicht abgewöhnen konnte, ständig Schlechtes über andere Leute zu denken – mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich in die Pubertät kam und mit absoluter Sicherheit wusste, dass ich mir mit meiner unkontrollierbaren Wollust eine einfache Fahrt ins Meer der Flammen einhandelte. Erst kürzlich hatte ich die Masturbation entdeckt und widmete mich ihr jetzt mit größter Gewissenhaftigkeit. Offensichtlich konnte ich mich nicht bremsen, und danach betete ich immer zu Gott und bat ihn um Verzeihung. Ich ahnte nicht, dass dieser Trieb normal war. Niemand hatte es mir erklärt.
In mir tobte ein endloser Krieg: Ich wollte » gut « sein, aber ich schaffte es anscheinend nicht. Mein sexueller Appetit war unersättlich, und als typischer Teenager hielt ich die meisten Leute für Schwachköpfe. Ja, ich war auf dem Weg zum Spielplatz des Teufels. Das alles kommt mir jetzt so lächerlich vor, aber damals war es so todernst wie nichts sonst auf der Welt.
Seltsamerweise bin ich in diesem Kinderbuch auch zum ersten Mal Aleister Crowley begegnet. Heute weiß ich, dass alles nur Propaganda war, aber in diesem jugendlichen Alter war ich erstaunt darüber, dass jemand so unverschämt hedonistisch und » sündhaft « sein konnte. Ich habe im Laufe der Jahre viel über diesen Mann und sein Lebenswerk gelesen, und es ist unglaublich, wie man ihn missverstanden hat. Seine Worte sind immer wieder missdeutet, verdreht, aus dem
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