Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
und blau war, er knickte mir die Finger um, riss an meinen Armen und verdrehte mir das Handgelenk. Das alles war nur » Spielerei « . Wenn er es schaffte, mich zum Weinen zu bringen, was ihm mit der Zeit immer weniger gelang, dann redete er sich damit heraus, dass er versuche, mich » abzuhärten « . Aber das Einzige, was abgehärtet wurde, war mein Herz. Vielleicht erinnerte ihn mein Anblick an meinen Vater, und vielleicht hatte er deshalb etwas gegen mich. Ich wusste nie, was ihn zu seinem Verhalten veranlasste, und heute interessiert es mich nicht mehr. Mit der Zeit wurde ich gerissener und lernte, ihm ganz aus dem Weg zu gehen.
Ich ließ zu, dass Jack mich adoptierte, weil meine Mutter mir erklärte, dass mein Vater in diesem Fall nicht dafür bestraft werden würde, dass er keine Unterhaltszahlungen leisten konnte. Wenn jemand meine Schwester und mich adoptierte, wäre er von diesen Zahlungsverpflichtungen befreit. Meine Mutter war wild entschlossen dazu, denn sie wollte, dass man uns als eine große, glückliche Familie sah, und sie wollte sämtliche Spuren meines Vaters ausradieren. Wir mussten Jack sogar mit » Dad « anreden. Als ich protestierte und ihm diesen Titel nicht zuerkennen wollte, bekam meine Mutter einen regelrechten Wutanfall. Ich gab schließlich nach und tat, was sie wollte, weil der Stress und der Druck mich zermürbten. An einem Esstisch zu sitzen, an dem niemand spricht und eine Zorneswolke über allem schwebt, ist die reinste Folter. Sie schauten mich nicht einmal an. Unter diesen Umständen kann niemand etwas essen, und ein Kind erträgt diesen psychischen Druck schon gar nicht. Also gab ich nach, aber über das Gefühl, von meiner Mutter verraten worden zu sein, bin ich nie ganz hinweggekommen, und jedes Mal, wenn ich das Wort » Dad « aussprechen musste, lag es wie Asche in meinem Mund.
Meine Mutter hat später bestritten, mich so behandelt zu haben. Sie hat ein praktisches Talent dazu, die Vergangenheit zu vergessen oder neu zu arrangieren, damit sie zu dem passt, was sie gerade will, ganz wie die Geschichtsveränderer in George Orwells 1984. Sie weiß nur noch sehr wenig über mich, aber sie erfindet Geschichten, die den Anschein erwecken sollen, sie stehe mir näher, als sie es tatsächlich tut. Das verschafft ihr mehr Aufmerksamkeit.
Das Einzige, was mich in dieser Zeit beruhigen und besänftigen konnte, war Musik, und so ist es mein Leben lang geblieben. Meine Mutter brachte meine Schwester und mich ins Bett und schaltete das Radio ein, damit es uns in den Schlaf sang. Es hatte etwas sehr Tröstliches, in einem dunklen, kalten Zimmer zu liegen und leise Musik von Prince, Tina Turner, Cyndi Lauper oder Madonna zu hören. Ich brauchte an nichts zu denken – die Musik holte mich von mir weg, und ich konnte mich in ihr verlieren. Ich brauchte sie wie eine Droge. Ich fühlte mich losgelöst und allein, und damals wurde mir klar, dass die Lage niemals besser werden würde. Es wurde so schlimm, dass ich in der Schule den Kranken spielte, damit ich nach Hause gehen und mich ins Bett legen konnte, um Musik zu hören. Es war, als treibe ich nachts auf dem Ozean. Noch heute kann ich ohne Musik nicht gut einschlafen.
Unser nächstes Haus, gleich außerhalb der Stadtgrenze von Marion, Arkansas, war ohne jeden Zweifel der schlimmste Ort, an dem ich je gewohnt habe, und dort begann die jammervollste Periode meines Lebens. Jack bekam diese erstklassige Immobile für dreißig Dollar im Monat, und er bezahlte immer noch zu viel. Es war eine waschechte Hütte aus alten Brettern, die bei starkem Wind sofort eingestürzt wäre, und sie stand auf einem alten indianischen Grabhügel. Das ganze Haus hatte vier Zimmer und ein Aluminiumdach. Es gab kein fließendes Wasser und keine nennenswerte Stromversorgung, weder Heizung noch Klimaanlage, und die halbe Vorderveranda war weggebrochen. Man hätte meinen sollen, solche Gebäude dienten nur in der Dritten Welt als Behausung.
Im Sommer schmorte man in seiner Haut. Die Sonne auf dem Blechdach heizte die Hütte so stark auf, dass man wirklich befürchten musste, den Verstand zu verlieren. Nachts lag ich schwitzend im Bett und wurde von Moskitos gefressen.
Im Winter war es nicht viel besser, denn unsere einzige Heizung war ein kleiner Holzofen, der mehr Rauch als Wärme verbreitete. Unsere Augen brannten, und unsere Kleider rochen immer nach Ruß. Meine Füße wurden so kalt, dass ich am liebsten geweint hätte. Niemand konnte die ganze Nacht wach
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