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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
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Mensch kann allein diese Dunkelheit vertreiben. Es gab so viele, die sie brauchten, dass sie einfach nicht genügte. Um mit allen zu sprechen, hätte sie vierundzwanzig Stunden täglich hier leben müssen und niemals schlafen dürfen. Eine Kerze kann nicht das gesamte Universum beleuchten, und nicht viele Leute haben Interesse an dem Job.
    Noch einer, den die Wärter nicht umstimmen konnten, sosehr sie sich auch anstrengten, war ein römisch-katholischer Priester namens Father Charles. Er war anders als jeder andere Priester, den ich vorher oder nachher gekannt habe.
    Father Charles kam ins Gefängnis, wie er überall hinkam: mit dem Motorrad. Er liebte dieses Ding und fuhr immer damit. Es sieht seltsam aus, wenn ein Mann im Priesterkragen auf einer solchen Maschine sitzt, und manch einem fällt es vielleicht schwer, diesen Anblick zu akzeptieren, bis er sich irgendwann an das Bild gewöhnt hat.
    Das Erste, was einem an Father Charles auffiel, war seine Glatze. Sein Schädel war blank wie der von Kojak oder von Meister Proper, und er reflektierte das Licht, wenn er durch den Trakt ging. Mund und Kinn waren von einem Fu-Manchu-Bart umrahmt, eine perfekte Ergänzung des Kahlkopfs. Das einzig Traditionelle an seinem Äußeren war der schwarze Anzug mit dem weißen Kragen.
    Aber nicht nur im Aussehen wich er von der Norm ab; er hatte auch allerlei interessante Schrullen und Angewohnheiten. Beispielsweise braute er Bier in seiner Garage und füllte es dort auch in Flaschen. Nach langem Probieren glaubte er, auf das richtige Rezept gestoßen zu sein, und war deshalb ziemlich stolz. Ebenfalls in seiner Garage hielt er eine riesige zahme Boa Constrictor und, wie er mir anvertraute, hatte er einmal gesehen, wie sie ein ganzes Huhn auf einmal verschluckte. Das erzählte er in ehrfürchtigem Ton, als staune er über die Komplexität der göttlichen Schöpfung. In seiner Freizeit spielte er Geige, und zwar gut genug, um sich an Paganinis Werke heranzuwagen.
    Father Charles war einer der sanftmütigsten und intelligentesten Leute, die ich je kennenlernen durfte. In seinen Augen leuchtete das Leben, und selbst die Nichtkatholiken im Todestrakt mochten ihn und wollten mit ihm sprechen. Er hatte keine Berührungsängste, und oft sagte er, ich solle mir Gott ungefähr vorstellen wie » Die Macht « in den Star-Wars -Filmen. Ich glaube nicht, dass seine Sichtweise beim Bischof immer besonders populär war, aber mir gefiel sie.
    Im Laufe der Jahre hatte ich mich nach und nach von der katholischen Kirche entfernt, weil mich meine Erfahrungen verbittert zurückgelassen hatten. Ich gab dem Christentum im Allgemeinen einen großen Teil der Schuld daran, dass ich für ein Verbrechen, das ich nicht begangen hatte, in der Todeszelle saß. Christen hatten mir das Etikett » Satanist « gegeben und mich zum Tode verurteilt. Es fiel mir schwer, darüber hinwegzukommen, und deshalb suchte ich eine neue Heimat im Zen-Buddhismus, der mir helfen sollte, Zorn und Groll zu verarbeiten. Höchstwahrscheinlich war das meine Rettung, denn sonst hätten die negativen Gedanken mich bei lebendigem Leib aufgefressen. Manche Christen hätten mein Interesse am Buddhismus mit Stirnrunzeln betrachtet, aber nicht Father Charles. Er fand es großartig.
    Es war Father Charles, der mich zur Ergänzung meiner buddhistischen Unterweisung in den katholischen Gottesdienst in der kleinen Gefängniskapelle zurücklockte. Der Grund, warum ich mich immer wieder in die katholische Kirche verliebt habe, ist ihre Schönheit. Das gilt auch heute noch. Später habe ich erfahren, dass ich nicht der Einzige war, der beides praktizierte. In manchen Kirchen haben Jesuiten angefangen, ihrer Gemeinde buddhistische Meditationstechniken als zulässige Methode für den Umgang mit bestimmten Situationen im Leben beizubringen. Interessanterweise hatte ich in meiner Jugend ja unbedingt Jesuit werden wollen. Es war die Sache mit dem Zölibat, mit der ich mich nicht abfinden konnte.
    Leider wurde Father Charles irgendwann in eine andere Pfarrgemeinde versetzt. Er wollte nicht weggehen, und wir wollten ihn nicht gehen lassen, aber die Entscheidung lag in den Händen anderer. Jetzt, Jahre später, schreiben die Häftlinge im Todestrakt ihm immer noch und er ihnen auch. Man respektiert ihn und seine Ratschläge, und niemand hat danach seinen Platz einnehmen können.
    Ich habe die Gestalt eines Toten an meiner Zellenwand. Der Gefangene, der vor mir hier war, hat sie dort hinterlassen. Er hat sich

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