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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
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nickte einmal. » Earl « , antwortete ich und nickte zurück.
    Die Wärter erzählten nachher, er konnte nicht mal seine letzte Mahlzeit zu Ende bringen, weil er sich immer wieder übergeben musste. Noch Jahre später dreht sich mir der Magen um, wenn ich an ihn denke. Er hat mir fast alles vermacht, was er besaß: seine Bücher, einen Ledergürtel, seine Zeichenstifte und ein bisschen Origami-Papier. Ich habe nichts davon behalten können, weil ich es zu bedrückend fand. Ich habe alles weggegeben.
    Wo war ich? Ach ja – allein im zweiten Stock. Nur ich und siebzehn leere, dunkle Zellen. Eines Nachts war mir, als sähe ich aus dem Augenwinkel, dass sich in einer der anderen Zellen etwas bewegte. Mein Kopf fuhr herum, und die Haare in meinem Nacken und an den Armen sträubten sich. Angespannt wie ein Revolvermann an High Noon stand ich da und starrte hinüber. Aber in dieser Nacht wurde die Vorstellung nicht wiederholt. Mit der Zeit gewöhnt man sich an solche Dinge und achtet gar nicht mehr darauf. Manchmal wacht man mitten in der Nacht auf, weil man glaubt, man habe jemanden sprechen hören, aber da ist niemand, und es ist still wie in einer Krypta.
    Die Stille im Todestrakt ist etwas, das den Wärtern in der ersten Zeit auf die Nerven zu gehen scheint. Das kommt, weil es in jedem anderen Block der Haftanstalt zugeht wie im Irrenhaus. Die Gefangenen dort schreien sich vierundzwanzig Stunden täglich die Lunge aus dem Hals. Es hört nie auf. Wutgebrüll, Schreie der Empörung, Bitten, Drohen, Fluchen – es klingt wie das Getöse irgendeiner vergessenen Hölle. Aber das sind die » normalen « Gefangenen. Wenn man durch die Tür des Todestrakts geht, hört es auf. Mehr als einmal habe ich einen neuen Wärter sagen hören: » Mein Gott, hier kann man ja eine Stecknadel fallen hören. «
    Ich nehme die Stille nur spätnachts zur Kenntnis, wenn ich noch auf bin, um mir den Mitternachtsfilm anzusehen, und darauf hoffe, dass es ein Horrorfilm sein wird.
    Horrorfilme waren eine Familientradition bei uns zu Hause. Schon als Kind, noch im Kindergarten, sah ich mir Horror-Double-Features an – mit Godzilla, Mumien, Vampiren, Werwölfen oder einer körperlosen Hand, die irgendwie in der Stadt herumkroch und ihr Opfer suchte. Mit großen Augen und völlig bewegungslos starrte ich auf den Bildschirm, bis ich einschlief, und dann trug mein Dad mich ins Bett.
    Ich erinnerte mich an die alten Zeiten, wenn ich in dem stillen Trakt saß und mir einen billigen Horrorfilm anschaute. Voller Nostalgie sehnte ich mich danach, dahin zurückzukehren, wo ich in Sicherheit war und nicht daran zweifeln musste, dass Mom und Dad sich um alles kümmern würden.
    Einmal bewohnte ich eine Zelle neben einem Typen, den die Stille ein bisschen nervös machte. Eines Nachts, als ich mir den Film Texas Chainsaw Massacre 2 ansah, flüsterte er nebenan alle paar Minuten meinen Namen, um sich zu vergewissern, dass ich nicht eingeschlafen war. » Mann « , sagte ich schließlich, » wenn dieser Film dir solche Angst einjagt, solltest du vielleicht nicht weiter zuschauen. « Andere, die das hörten, fingen an zu lachen. Er beschimpfte mich und war gekränkt, weil ich sein Geheimnis verraten hatte. Kurz darauf schlich er wieder zu seiner Tür, um weiter fernzusehen. Ich glaube, in dieser Nacht hat er kein Auge zugetan.

SECHS
    1986 begannen die Freuden der Junior Highschool. Viele bedeutende Ereignisse und Übergangsriten fanden in der Zeit statt, in der ich die Flure dieses abscheulichen Beispiels unseres Bildungssystems bewohnte. Die Schule lag wahrlich ab vom Schuss; sie hatte vielleicht tausend Schüler. Ich trank dort meinen ersten Schluck Bier und warf den ersten Blick auf Pornografie, ich fing mit dem Skateboarden an, und ich lernte Jason Baldwin kennen.
    Bier und Pornografie verdankte ich meinem Stiefbruder Keith Echols, der trotz eines Alkoholproblems eigentlich ein ziemlich anständiger Kerl war. Er ermöglichte mir das erste von nur zwei Erlebnissen, die ich am Steuer eines Autos gehabt habe. Er fuhr einen alten Pick-up-Truck mit höhergelegter Hinterachse und superbreiten Hinterreifen. Eines Tages, als ich auf dem Beifahrersitz saß und Alice Cooper im Radio hörte, warf er die leere Bierdose, die er zwischen den Beinen gehalten hatte, aus dem Fenster, sah mich mit verschwiemelten Augen an und fragte: » Willst du fahren? «
    Ich antwortete mit der Floskel, die jeder Südstaatler regelmäßig benutzt: » Hell yeah. «
    Er hielt an und tauschte

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