Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
wird wie früher.
ELF
Schlafentzug ist ein direktes Resultat des Lichts. Sie schalten das Licht jeden Abend um zehn Uhr dreißig ab. Um halb drei schalten sie es wieder ein, denn dann bringen sie das Frühstück. Wenn man es schafft, einzuschlafen, sobald das Licht ausgeht, und während des Betriebs der Wache durchzuschlafen, bekommt man trotzdem nur vier Stunden ununterbrochenen Schlaf. Aber das klappt nicht. Türen werden zugeschlagen, Schlüssel fallen zu Boden, die Schließer brüllen herum, als wären sie auf einem Familientreffen – das alles weckt einen auf. In den vier Stunden, in denen das Licht aus ist, kann man damit rechnen, mindestens einmal pro Stunde geweckt zu werden. Der Betrieb geht den ganzen Tag so weiter, und dazu kommt das grelle Licht der Leuchtstofflampen. Jeder Versuch, ein Nickerchen zu machen, führt zu weiterer Frustration. Man kann hier sowieso nie besonders tief schlafen, denn man muss seine Umgebung ständig bewusst wahrnehmen. Üble Dinge können passieren, wenn man nicht auf der Hut ist. Die Anstrengung, dauernd ein Auge offen zu halten, macht einen fertig.
Als der Todestrakt sich noch im Tucker Max befand, hatten wir wenigstens die Kontrolle über unser eigenes Licht. Es war ein älteres Gebäude, und in jeder Zelle gab es eine Wandleuchte mit einer Glühlampe, die man einschraubte, um das Licht ein-, und ausschraubte, um es wieder auszuschalten. Dabei musste man schnell sein, weil man sich sonst die Finger verbrannte.
Eins der ersten Dinge, die ich nach meiner Ankunft dort lernte, war, wie man mit einer 100-Watt-Birne kocht. Das geht auf zweierlei Weise. Zum einen kann man die Glühlampe als direkte Hitzequelle benutzen. Man schneidet den Deckel einer Getränkedose mit einer Wegwerfrasierklinge ab. Dann füllt man die Dose mit dem, was man heißmachen will – Kaffee zum Beispiel, oder übrig gebliebenes Rindsragout. Man muss darauf achten, dass die Dose völlig trocken ist und kein Tropfen Wasser daran hängt, bevor man sie vorsichtig ausbalanciert auf die Glühlampe stellt. Nach zwanzig oder dreißig Minuten ist das, was sich in der Dose befindet, so heiß, da man sich daran den Mund verbrennt. Aber man muss sicher sein, dass die Dose wirklich ganz trocken ist, denn die Glühlampe explodiert einem ins Gesicht, wenn ein Tropfen Wasser sie berührt. Man kriegt es immer mit, wenn jemandem dieser Fehler unterläuft, denn es knallt wie ein Schrotflintenschuss.
Diese Technik lässt sich so modifizieren, dass man damit eine primitive Art von Mikrowelle konstruiert. Man drückt einfach ein paar Getränkedosen platt und kleidet das Innere einer Salzcrackerschachtel damit aus, die man dann über die Glühlampe stülpt. Mit dieser Konstruktion kann man andere Köstlichkeiten heißmachen, zum Beispiel Lyoner oder Frühstücksfleisch.
Die zweite Methode, mit der Glühlampe zu kochen, besteht darin, dass man sie zum Feuermachen verwendet. Wenn man es vorzieht, über einer offenen Flamme zu kochen, muss man als Erstes einen » Brenner « herstellen. Dazu wickelt man sich Toilettenpapier ein paar Dutzend Mal um die Hand und faltet die Ränder nach innen. Wenn man es richtig gemacht hat, erhält man etwas, das ein bisschen so aussieht wie ein Doughnut. Diese Technik erfordert eine gewisse Kunstfertigkeit. Rollt man das Papier zu straff, wird es nur glimmen, und man erstickt an dem Rauch. Ist es nicht straff genug gerollt, geht das ganze Ding innerhalb von Sekunden in Flammen auf. Es muss hübsch kontrolliert brennen, und zwar mindestens fünf Minuten lang.
Als Nächstes wickelt man seine Glühbirne in Toilettenpapier. Zwei Schichten sollten genügen. Dann braucht man nur noch darauf zu warten, dass es anfängt zu qualmen, was nach maximal drei Minuten der Fall sein sollte. Wenn das Papier glimmt, nimmt man es von der Lampe und bläst darauf, bis es aufflammt. Zünden Sie an dieser Flamme Ihren Brenner an, und Sie sind bald der Starkoch der Gefängniswelt.
Am besten stellt man den Brenner auf den Rand der Klobrille, sodass man ihn ins Klo schieben und wegspülen kann, wenn man fertig ist. In einer Gefängnistoilette kann man alles wegspülen. Socken, Plastiklöffel, zerbrochene Whiskeyflaschen, kaputte Tonbandkassetten, Orangenschalen – ich habe alles schon mühelos im Abfluss verschwinden sehen. Wenn man sich an diese großen Gefängnisklos im Industrieformat einmal gewöhnt hat, kann man die häusliche Variante nur noch verächtlich belächeln. Das einzig Gute an diesem Laden sind die
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