Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
regionale Unternehmen sah, und er hatte eine eigene Talkshow, die jeden Sonntagmorgen lief.
Meine treue Anhänglichkeit zur Jerry Lawler Show hat meine Großmutter einmal in Empörung und Verlegenheit versetzt. Eine Frau aus einer benachbarten Kirche machte damals immer mit einer Tasche voll Bubble Gum die Runde durch die Nachbarschaft. Sie ging von Tür zu Tür und versuchte, die Kinder zu überreden, am Sonntag in die Kirche zu kommen. Wenn man versprach zu kommen, kriegte man Bubble Gum. Als sie einmal bei uns war, plauderte sie liebenswürdig ein Weilchen mit meiner Großmutter, bevor sie mich fragte: » Möchtest du am Sonntag mit mir in die Kirche kommen? « Das Glänzen in ihren Augen sprach Bände. Es sagte: » Du weißt, du kannst meinem Bubble Gum nicht widerstehen. Du kannst mir ruhig deine Seele verkaufen. « Deshalb war sie ziemlich schockiert, als ich sagte: » Auf gar keinen Fall. « Ihr Lächeln verwandelte sich in ein verblüfftes Stirnrunzeln, und sie fragte: » Warum nicht? « Ich sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren. » Weil ich dann die Jerry Lawler Show verpasse. «
Meine Großmutter wollte im Boden versinken. Ich hatte mich soeben als Heidenkind erster Güte geoutet. Ungläubig starrte sie mich an. In ihren Augen hatte ich Jerry Lawler über den Herrn Jesus gestellt, was ein schlechtes Licht auf sie warf. Als der Schock nachgelassen hatte, brachte sie die Frau zur Tür und versprach ihr, dass ich am Sonntagmorgen in der Kirche sein würde. So verpasste ich nicht nur die Jerry Lawler Show, ich bekam auch kein Bubble Gum.
Wie dem auch sei, das war der kurze Rundgang durch meine Zelle. Die einzigen anderen Gegenstände hier sind zwei große Plastikcontainer, in denen ich alles aufbewahre, was ich besitze. Das sind kleine Packungen Kopfschmerztabletten, Beutelchen mit Senf, Seife, Bücher, ein Vorrat Papier und diverse andere Kleinigkeiten, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben.
Das Beste, was ich Ihnen wünschen kann, ist, dass Sie einen solchen Ort niemals mit eigenen Augen sehen müssen. Es ist eine Hölle ohne alles, was das Leben lebenswert macht.
Einmal stieß ich beim Blättern in einer Zeitschrift auf einen Bericht über die Eröffnung einer Kunstausstellung in New York. Die Künstlerin war eine Fotografin, die als Kind schwere Brandverletzungen davongetragen hatte. Während des langsamen Heilungsprozesses hatte sie sich selbst fotografiert. Sie hatte eine unmenschliche Zahl von Operationen über sich ergehen lassen müssen, noch weit bis ins Erwachsenenalter hinein. Im Laufe der Jahre hatte sie ihre treue Kamera immer bei sich und dokumentierte jeden einzelnen Schritt. Über dem kurzen Artikel war ein Foto, auf dem sie lachte, und auf den ersten Blick sah ich das leicht gekräuselte Narbengewebe auf Brust und Schlüsselbeinen gar nicht. Erst nach dem Lesen schaute ich das Bild noch einmal an und erkannte, dass da tatsächlich noch Spuren ihrer Kindheitsverletzung zu sehen waren.
Was mich an diesem Artikel wirklich beeindruckte, war eine Bemerkung der Frau. Sie sagte, sie sei als Kind viel stärker gewesen als jetzt im Erwachsenenalter. Sie musste die subtilen Mechanismen des Geistes kennen und sich ihrer bewusst sein, um zu dieser Einsicht zu kommen. Vielleicht ist die Erinnerung manchmal schlimmer als der Schmerz im Augenblick des Geschehens. Manchmal auch nicht.
Je älter ich werde, desto besser verstehe ich, was die verbrannte Frau gemeint hat. Dinge, die ich in meiner Jugend unversehrt überstehen konnte, würden mich heute für den Rest meines Lebens zeichnen oder irreparabel beschädigen. Was ich früher einmal mit einem Achselzucken abgetan habe, würde heute meinen Zusammenbruch herbeiführen. Als Jugendlicher war ich geistig wie körperlich flexibler. Ich konnte Schläge abfedern und die Dinge nehmen, wie sie kamen.
ZWÖLF
Es war erstaunlich, wie schnell die Kränkung verflog. Humpty Dumty war tatsächlich wieder zusammengesetzt worden und grinste wie ein Idiot. Ich fläzte mich weit zurückgelehnt an meinem Pult, schlaff und träge, als hätte ich keinen Knochen im Leib. Deanna saß hinter mir, strich mit der Fingerspitze am Haaransatz in meinem Nacken entlang und lachte leise und kehlig, wenn mir ein Schauer über den Rücken lief. Sie beugte sich vor und flüsterte: » Die Schule ist in drei Tagen vorbei. Ich will dich nicht noch mal verlieren, nachdem ich dich gerade erst zurückgekriegt habe. « Darüber hatte ich schon nachgedacht, aber ich fand
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