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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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erleichtert, als sie sah, dass niemand da war, denn sie hatte sich keine logische Erklärung dafür zurechtgelegt, warum sie hier war. Ihre Mutter war Jüdin gewesen, aber ihr Vater hatte darauf bestanden, dass sie und Anne katholisch erzogen wurden. Daher war sie als Kind jeden Sonntag in die Messe gegangen, empfing die Kommunion, ging zur Beichte und wurde gefirmt, aber da ihre Mutter an nichts von alledem teilnahm, begann Alice schon in jungen Jahren, die Gültigkeit all dieser Überzeugungen infrage zu stellen. Und ohne eine zufriedenstellende Antwort seitens ihres Vaters oder der katholischen Kirche hatte sie nie einen echten Glauben entwickelt.
    Licht von den Straßenlaternen strömte durch die gotischen Buntglasfenster und erhellte den Innenraum so deutlich, dass sie fast die ganze Kirche erkennen konnte. In jedem der Buntglasfenster war Jesus dargestellt, in weißen und roten Gewändern als Hirte oder Heiler, wie er gerade ein Wunder vollbrachte. Auf einem Banner rechts neben dem Altar stand: GOTT IST UNSERE ZUFLUCHT UND KRAFT UND STETS GEGENWÄRTIGE HILFE IN DER NOT.
    Ihre Not konnte nicht größer sein, und sie wollte so dringendum Hilfe bitten. Aber sie kam sich wie ein Eindringling vor, unwert, ungläubig. Welches Recht hatte sie, Hilfe von einem Gott zu erflehen, bei dem sie sich nicht sicher war, ob sie überhaupt an ihn glaubte, in einer Kirche, über die sie nichts wusste?
    Sie schloss die Augen, lauschte auf das beruhigende, ozeanartige Rauschen des fernen Verkehrs und versuchte, ihren Verstand zu öffnen. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie in dieser kalten, inzwischen dunklen Kirche auf dem Samtpolster der Kirchenbank saß und auf eine Antwort wartete. Aber es kam keine. Sie blieb noch etwas länger, hoffte, ein Priester oder Gemeindemitglied würde hereinschlendern und sie fragen, weshalb sie hier war. Jetzt hatte sie ihre Erklärung. Aber es kam niemand.
    Sie dachte an die Visitenkarten, die sie von Dr. Davis und Stephanie Aaron bekommen hatte. Vielleicht sollte sie mit der Sozialarbeiterin oder einem Therapeuten reden. Vielleicht würden sie ihr helfen können. Und dann, mit absoluter und schlichter Klarheit, kam ihr die Antwort.
    Rede mit John.

    Sie war nicht gewappnet für den Angriff, der sie erwartete, als sie zur Haustür hereinkam.
    »Wo hast du denn gesteckt?«, fragte John.
    »Ich war laufen.«
    »Du warst die ganze Zeit laufen?«
    »Ich war auch noch in der Kirche.«
    »Kirche? Ich fasse es nicht, Ali. Hör mal, du trinkst doch sonst keinen Kaffee, und du gehst sonst auch nicht in die Kirche.«
    Sie roch den Alkohol an seinem Atem.
    »Na ja, heute schon.«
    »Wir waren mit Bob und Sarah zum Essen verabredet, hast du das vergessen? Ich musste anrufen und absagen.«
    Essen mit ihren Freunden Bob und Sarah. Es stand in ihrem Kalender.
    »Ich habe es vergessen. Ich habe Alzheimer.«
    »Ich hatte absolut keine Ahnung, wo du warst, ob du dich vielleicht verlaufen hattest. Ab jetzt musst du dein Handy immer bei dir haben.«
    »Zum Laufen kann ich es nicht mitnehmen, da habe ich keine Taschen.«
    »Dann kleb es dir mit Klebeband an den Kopf, es ist mir egal. Ich werde nicht jedes Mal diesen Zirkus mitmachen, wenn du vergisst, dass du eigentlich irgendwo sein sollst.«
    Sie folgte ihm ins Wohnzimmer. Er setzte sich auf die Couch, seinen Drink in der Hand, und weigerte sich, zu ihr hochzusehen. Die Schweißtropfen auf seiner Stirn passten zu den Wassertropfen auf dem Whiskeyglas in seiner Hand. Sie zögerte, dann setzte sie sich auf seinen Schoß, schlang ihm die Arme fest um die Schultern, sodass sie mit ihren Händen ihre eigenen Ellenbogen berührte, ihr Ohr an seines gedrückt, und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.
    »Es tut mir so leid, dass ich diese Krankheit habe. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, wie viel schlimmer es noch werden wird. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dich eines Tages anzusehen, dieses Gesicht, das ich liebe, und nicht zu wissen, wer du bist.«
    Sie glitt mit den Händen über die Konturen seines Kiefers und Kinns und die Falten seines selten gewordenen Lachens. Sie wischte ihm den Schweiß von der Stirn und die Tränen aus den Augen.
    »Ich bekomme kaum noch Luft, wenn ich darüber nachdenke. Aber wir müssen darüber nachdenken. Ich weiß nicht, wie lange ich dich noch kennen werde. Wir müssen über das reden, was passieren wird.«
    Er kippte seinen Drink, schluckte, bis nichts mehr übrig war, und sog dann noch den letzten Rest aus dem Eis. Dann sah

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