Mein Leben Ohne Gestern
ins Wohnzimmer, grinsend und mit einem Teller, beladen mit etwas von allem. Er setzte sich auf die Couch zu Lydia, die ihr Drehbuch in der Hand hielt und mit geschlossenen Augen leise ihren Text lernte. Sie waren alle da. Es war Zeit.
»Euer Dad und ich, wir haben etwas Wichtiges mit euch zu besprechen, und wir wollten damit warten, bis wir euch drei alle zusammen dahaben.«
Sie sah John an. Er nickte und drückte ihre Hand.
»Ich habe schon seit einer ganzen Weile Probleme mit meinem Gedächtnis, und im Januar wurde bei mir die früh einsetzende Alzheimer-Krankheit diagnostiziert.«
Die Uhr auf dem Kaminsims tickte laut, als hätte irgendjemand die Lautstärke voll aufgedreht, so, wie sie immer klang, wenn niemand sonst im Haus war. Tom saß wie erstarrt da, eine Gabel mit Frittata zwischen Teller und Mund in der Schwebe. Sie hätte warten sollen, bis er seinen Brunch aufgegessen hatte.
»Sind sie sicher, dass es Alzheimer ist? Habt ihr eine zweite Meinung eingeholt?«, fragte Tom.
»Sie hat sich genetisch screenen lassen. Sie hat die Präsenilin-1-Mutation«, sagte John.
»Ist es autosomal dominant?«, fragte Tom.
»Ja.«
Er sagte noch mehr zu Tom, aber nur mit den Augen.
»Was heißt das? Dad, was hast du eben zu ihm gesagt?«, fragte Anna.
»Das heißt, dass wir mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent ebenfalls die Alzheimer-Krankheit bekommen werden«, sagte Tom.
»Was ist mit meinem Baby?«
»Du bist doch noch nicht einmal schwanger«, sagte Lydia.
»Anna, wenn du die Mutation hast, dann gilt dasselbe für deine Kinder. Jedes deiner Kinder würde sie mit einer Wahrscheinlichkeit von fünfzig Prozent ebenfalls erben«, sagte Alice.
»Und was passiert jetzt mit uns? Werden wir getestet?«, fragte Anna.
»Wenn du willst«, sagte Alice.
»Oh mein Gott, und was, wenn ich es habe? Dann könnte mein Baby es auch haben«, sagte Anna.
»Vermutlich wird es ein Heilmittel dafür geben, bis eines unserer Kinder es brauchen würde«, sagte Tom.
»Aber nicht rechtzeitig genug für uns, willst du das damit sagen? Das heißt, meinen Kindern passiert nichts, aber ich werde ein hirnloser Zombie sein?«
»Anna, es reicht!«, fuhr John sie an.
Er presste die Zähne aufeinander, und sein Gesicht lief rot an. Vor einem Jahrzehnt hätte er Anna auf ihr Zimmer geschickt. Stattdessen drückte er Alice’ Hand fest und wippte mit einem Bein. Er war in so vieler Hinsicht machtlos geworden.
»Entschuldigung«, sagte Anna.
»Es ist anzunehmen, dass es eine präventive Behandlung gibt, bis ihr in meinem Alter seid. Das ist einer der Gründe, weshalb ihr vielleicht wissen solltet, ob ihr die Mutation habt. Wenn ja, dann könnt ihr vielleicht schon Medikamente nehmen, längst bevor ihr symptomatisch seid, und werdet es hoffentlich niemals werden«, sagte Alice.
»Mom, was für eine Behandlung gibt es denn im Augenblick für dich?«, fragte Lydia.
»Na ja, ich nehme Antioxidansvitamine und Aspirin, ein Statin und zwei Neurotransmitter-Medikamente.«
»Werden diese Medikamente denn verhindern, dass sich dein Alzheimer verschlimmert?«, fragte Lydia.
»Vielleicht für eine kurze Weile, aber man kann es nicht mit Sicherheit sagen.«
»Wie sieht es mit klinischen Versuchen aus?«, fragte Tom.
»Damit befasse ich mich im Augenblick«, sagte John.
John hatte begonnen, mit klinischen Ärzten und Wissenschaftlern in Boston zu sprechen, die die molekulare Ätiologie der Alzheimer-Krankheit erforschten, und er hatte ihre Meinungen zu den bescheidenen Aussichten auf Therapien in der klinischen Pipeline eingeholt. John war Krebszellenbiologe, kein Neurowissenschaftler, aber es gehörte für ihn nicht viel dazu, die molekularen Schuldigen zu durchschauen, die in einem anderen Organismus Amok liefen. Sie sprachen alle dieselbe Sprache: Rezeptorbindung, Phosphorylierung, transkriptionelle Regulierung, Clathrin-umhüllte Einstülpungen, Sekretasen. Wie ein Mitgliedsausweis zu einem absolut exklusiven Club verlieh ihm die Tatsache, dass er von Harvard kam, sofortige Glaubwürdigkeit, wenn es darum ging, mit den angesehensten führenden Denkern in der Bostoner Forschungsgemeinde zur Alzheimer-Krankheit in Kontakt zu treten. Wenn es eine bessere Behandlungsmethode gab oder vielleicht bald geben würde, dann würde John sie für sie finden.
»Aber Mom, man sieht dir gar nichts an. Du musst daswirklich früh bekommen haben. Ich hätte nie gedacht, dass mit dir irgendetwas nicht stimmt«, sagte Tom.
»Ich schon«, sagte
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