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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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versucht, mich an die Uhrzeit zu erinnern, weil ich sie eintippen wollte.«
    »Mom, denk doch mal einen Augenblick nach. Um wie viel Uhr ist Lydias Aufführung morgen?«
    Sie wusste die Antwort nicht, aber sie wusste, dass der armen Anna gezeigt werden musste, wo es langging.
    »Lydia, um wie viel Uhr ist deine Aufführung morgen?«, fragte Alice.
    »Um acht.«
    »Sie ist um acht, Anna.«

    Um fünf vor acht nahmen sie ihre Plätze ein, zweite Reihe Mitte. Das Theater von Monomoy war klein, mit nur einhundert Plätzen im Zuschauerraum und einer Bühne, die sich nur ein paar Meter hinter der ersten Reihe befand.
    Alice konnte es kaum erwarten, bis die Lichter ausgingen. Sie hatte das Stück gelesen und ausführlich mit Lydia darüber gesprochen. Sie hatte sie sogar ihren Text abgefragt. Lydia spielte Catherine, die Tochter eines verrückt gewordenen Mathematikgenies. Alice konnte es kaum erwarten zu sehen, wie diese Figuren genau vor ihr zum Leben erwachten.
    Von der allerersten Szene an war das Spiel nuanciert, glaubhaft und vielschichtig, und Alice tauchte mühelos und vollkommen in die imaginäre Welt ein, die sie schufen. Catherine behauptete, sie hätte einen bahnbrechenden Beweis geschrieben, aber weder das Objekt ihrer Liebe noch ihre mit ihr zerstrittene Schwester glaubten ihr, und beide stellten ihre geistige Zurechnungsfähigkeit infrage. Sie quälte sich mit der Angst, dass sie, genau wie ihr genialer Vater, verrückt werden könnte. Alice konnte ihren Schmerz, den Verrat und die Angst genau nachempfinden. Sie war von Anfang bis Ende völlig gebannt.
    Danach kamen die Schauspieler ins Publikum. Catherine strahlte. John überreichte ihr Blumen und drückte sie in einer stürmischen Umarmung an sich.
    »Du warst unglaublich, absolut umwerfend!«, sagte John.
    »Vielen Dank! Ist es nicht ein tolles Stück?«
    Die anderen umarmten und küssten und lobten sie ebenfalls.
    »Du warst ganz wundervoll, toll anzusehen«, sagte Alice.
    »Danke.«
    »Werden wir dich in diesem Sommer noch in einem anderen Stück sehen?«, fragte Alice.
    Sie sah Alice unbehaglich lange an, bevor sie antwortete.
    »Nein, das ist meine einzige Rolle in diesem Sommer.«
    »Bist du nur für die Sommersaison hier?«
    Die Frage schien sie traurig zu stimmen, als sie darüber nachdachte. Tränen traten ihr in die Augen.
    »Ja, ich fahre Ende August zurück nach LA, aber ich werde oft wieder hier in die Gegend kommen, um meine Familie zu besuchen.«
    »Mom, das ist doch Lydia, deine Tochter«, sagte Anna.

Der intakte Zustand eines Neurons hängt von seiner Fähigkeit ab, mit anderen Neuronen zu kommunizieren. Studien haben gezeigt, dass die elektrische und chemische Stimulation durch die ein- und ausgehenden Signale eines Neurons entscheidende zellulare Prozesse unterstützt. Neuronen, die außerstande sind, zu anderen Neuronen erfolgreich Verbindung aufzunehmen, verkümmern. Sobald es nutzlos geworden ist, stirbt ein aufgegebenes Neuron ab.

SEPTEMBER 2004
    Obwohl es offiziell der Beginn des Herbstsemesters in Harvard war, hielt sich das Wetter standhaft an die Regeln des römischen Kalenders. Es war ein stickiger, über fünfundzwanzig Grad warmer Sommermorgen im September, als sich Alice auf den Weg zum Harvard Yard machte. In den Tagen rund um die Immatrikulation amüsierte sie sich jedes Jahr, wenn sie die Erstsemester sah, die nicht aus Neuengland waren. Der Herbst in Neuengland weckte Vorstellungen von bunten Blättern, Apfelernte, Footballspielen, Wollpullovern und Schals. Es kam in Cambridge zwar durchaus vor, dass man Ende September morgens aufwachte und Frost auf den Kürbissen sah, aber tagsüber, vor allem Anfang September, hörte man noch immer das endlose Surren von Fensterklimaanlagen und erhitzte, krankhaft optimistische Diskussionen über die Red Sox. Und doch sahen sie jedes Jahr genauso aus, die frisch eingetroffenen Studenten, die sich mit der Unsicherheit unkundiger Touristen auf den Gehsteigen des Harvard Square bewegten, immer unter zu vielen Woll- und Fleeceschichten und mit unzähligen Einkaufstüten vom Harvard-Shop, vollgestopft mit all den benötigten Schreibutensilien und den Sweatshirts mit dem Harvard-Logo. Bedauernswerte, verschwitzte Gestalten.
    Selbst in ihrem ärmellosen weißen Baumwollshirt und dem knöchellangen, kunstseidenen schwarzen Rock schwitzte Alice unangenehm, als sie Eric Wellmans Büro erreichte. Genau überihrem gelegen, hatte es dieselbe Größe mit derselben Einrichtung und demselben Blick

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