Mein Leben Ohne Gestern

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Autoren: Lisa Genova

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über den Charles River und Boston, aber dennoch wirkte seines irgendwie eindrucksvoller und stattlicher. In seinem Büro kam sie sich immer wie eine Studentin vor und heute erst recht, da sie »auf ein Wort« zu ihm gebeten worden war.
    »Wie war dein Sommer?«, fragte Eric.
    »Sehr erholsam. Und deiner?«
    »Gut, er war nur zu schnell vorbei. Wir haben dich auf der Konferenz im Juni vermisst.«
    »Ich weiß, ich habe es auch vermisst, dort zu sein.«
    »Nun, Alice, ich wollte mit dir über deine Kursbewertungen vom letzten Semester sprechen, bevor die Vorlesungen beginnen.«
    »Oh, ich hatte noch gar nicht die Gelegenheit, sie mir anzusehen.«
    Ein von einem Gummiband zusammengehaltener Stapel mit Bewertungen aus ihrem Motivations- und Emotionskurs lag irgendwo ungeöffnet in ihrem Büro. Die Bewertungsbögen der Studenten in Harvard waren völlig anonym und wurden ausschließlich von dem Dozenten des Kurses und dem Leiter des Instituts eingesehen. In der Vergangenheit hatte sie sie immer nur gelesen, um ihre Eitelkeit zu befriedigen. Sie wusste, dass sie eine hervorragende Dozentin war, und die Bewertungen ihrer Studenten hatten sie darin stets klar bestätigt. Aber Eric hatte sie noch nie gebeten, sie mit ihm durchzugehen. Zum ersten Mal in ihrer Karriere befürchtete sie, dass ihr das Bild von sich, das sie darin gespiegelt sehen würde, nicht gefallen würde.
    »Hier, nimm dir jetzt ein paar Minuten Zeit, um sie dir anzusehen.«
    Er reichte ihr seinen Stapel mit den Bewertungen, mit der Zusammenfassung obenauf.
    Auf einer Skala von eins – stimme überhaupt nicht zu – bisfünf – stimme völlig zu -, hat der Dozent die Studenten zu einem hohen Leistungsniveau angehalten? Lauter Vieren und Fünfen.
    Haben die Kurstreffen zu einem besseren Verständnis des Stoffes beigetragen? Vieren, Dreien und Zweien.
    Der Dozent hat mir geholfen, komplizierte Denkansätze und komplexe Ideen zu verstehen. Wieder Vieren, Dreien und Zweien.
    Der Dozent hat Fragen und die Einbeziehung abweichender Standpunkte angeregt . Zwei Studenten gaben ihr einen Punkt.
    Bewerten Sie auf einer Skala von eins – schlecht – bis fünf – hervorragend – den Dozenten insgesamt . Hauptsächlich Dreien. Wenn sie sich recht erinnerte, hatte sie in dieser Kategorie nie schlechter als mit einer Vier abgeschnitten.
    Die ganze Zusammenfassung war mit Dreien, Zweien und Einsen gespickt. Sie versuchte gar nicht erst, sich einzureden, dass es irgendetwas anderes war als die zutreffende und wohlüberlegte Einschätzung ihrer Studenten, ohne bösen Willen. Ihre Lehrtätigkeit hatte nach außen hin mehr gelitten, als ihr bewusst gewesen war. Trotzdem würde sie jede Wette eingehen, dass sie bei Weitem nicht die am schlechtesten bewertete Dozentin des Instituts war. Sie sank vielleicht rasch, aber sie war noch lange nicht untergegangen.
    Sie sah zu Eric hoch, bereit, sich der Standpauke zu stellen, die vielleicht nicht schön, aber vermutlich auch nicht allzu schlimm werden würde.
    »Wenn ich nicht deinen Namen auf dieser Zusammenfassung gesehen hätte, hätte ich mir gar nichts dabei gedacht. Sie ist ganz passabel, zwar nicht das, was ich von dir gewohnt bin, aber sie ist keine Katastrophe. Es sind vielmehr die schriftlichen Kommentare, die besonders besorgniserregend sind, und ich dachte, darüber sollten wir reden.«
    Alice hatte noch nicht über die Zusammenfassung hinausgeblättert. Eric nahm seine Unterlagen zur Hand und las laut vor.
    »Sie überspringt große Teile des Lehrplans, sodass wir sieauch überspringen, erwartet dann aber, dass wir sie in der Prüfung wissen.«
    »Sie scheint nicht zu wissen, was sie unterrichtet.«
    »Der Kurs war reine Zeitverschwendung. Ich hätte genauso gut einfach das Lehrbuch lesen können.«
    »Es fiel mir schwer, ihren Vorlesungen zu folgen. Sie verliert darin sogar selbst den Faden. Dieser Kurs war nicht annähernd so gut wie ihr Einführungskurs.«
    »Einmal ist sie in den Kurs gekommen und hat gar nicht unterrichtet. Sie hat sich nur ein paar Minuten hingesetzt und ist dann wieder gegangen. Ein andermal hat sie genau dieselbe Vorlesung gehalten wie in der Woche zuvor. Es würde mir nicht im Traum einfallen, Dr. Howlands Zeit zu vergeuden, aber ich denke, sie sollte auch nicht meine vergeuden.«
    Das war schwer zu ertragen. Es war viel, viel mehr, als ihr bewusst gewesen war.
    »Alice, wir kennen uns doch jetzt schon lange, oder?«
    »Ja.«
    »Ich werde nicht um den heißen Brei herumreden. Ist bei dir zu