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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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spielen?«, fragte Alice.
    Lydia starrte sie an, als hätte die Frage sie aller Sinne beraubt.
    »Was?«
    »Hast du diese Szene nicht mit Malcolm in deinem Unterricht gespielt?«
    »Du hast mein Tagebuch gelesen?«
    Alice’ Magen verkrampfte sich. Sie dachte, Lydia hätte ihr von Malcolm erzählt.
    »Schatz, es tut mir leid …«
    »Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast! Dazu hast du kein Recht!«
    Lydia schob ihren Stuhl zurück und stürmte davon, ließ Alice allein am Tisch zurück, fassungslos und mit einem flauen Gefühl im Magen. Ein paar Minuten später hörte Alice die Haustür zuknallen.
    »Keine Sorge, sie wird sich schon wieder beruhigen«, sagte John.
    Den ganzen Vormittag versuchte sie, sich mit irgendetwas anderem zu beschäftigen. Sie versuchte zu putzen, zu gärtnern, zu lesen, aber das Einzige, was sie wirklich schaffte, war, sich Sorgen zu machen. Sie hatte Angst, etwas Unverzeihliches getan zu haben. Sie machte sich Sorgen, den Respekt, das Vertrauen und die Liebe der Tochter, die sie eben erst kennenlernte, schon wieder verloren zu haben.
    Nach dem Mittagessen gingen Alice und John zum Hardings Beach. Alice ging ins Wasser und schwamm, bis ihr Körper zu erschöpft war, um noch irgendetwas zu spüren. Dasverkrampfte, flaue Gefühl in ihrer Magengegend war verschwunden, und sie kehrte zurück zu ihrem Liegestuhl, stellte die Rückenlehne flach und legte sich hin, schloss die Augen und meditierte.
    Sie hatte gelesen, regelmäßige Meditation könne die kortikale Dicke verbessern und eine allmähliche altersbedingte kortikale Ausdünnung verlangsamen. Lydia meditierte schon jetzt jeden Tag, und als Alice Interesse bekundet hatte, hatte Lydia es ihr beigebracht. Ganz unabhängig davon, ob es tatsächlich half, ihre kortikale Dicke zu erhalten, mochte Alice diese Zeit der stillen Konzentration, die das lärmende Chaos und die Sorgen in ihrem Kopf so erfolgreich besänftigte. Es gab ihr buchstäblich Seelenfrieden.
    Nach etwa zwanzig Minuten kehrte sie in einen etwas wacheren Zustand zurück, entspannt, energiegeladen und erhitzt. Sie watete zurück ins Wasser, diesmal nur, um sich kurz zu erfrischen, um Schweiß und Hitze gegen Salz und kühles Nass zu tauschen. Als sie wieder auf ihrem Liegestuhl saß, hörte sie eine Frau auf der Decke neben ihnen über das wundervolle Stück sprechen, das sie kürzlich im Theater von Monomoy gesehen hatte. Das verkrampfte, flaue Gefühl kehrte augenblicklich zurück.
    An diesem Abend grillte John Cheeseburger, und Alice machte einen Salat. Lydia kam zum Abendessen nicht nach Hause.
    »Ich bin sicher, ihre Probe zieht sich nur ein bisschen länger hin«, sagte John.
    »Jetzt hasst sie mich.«
    »Sie hasst dich nicht.«
    Nach dem Essen trank sie noch zwei Gläser Rotwein, und John trank noch drei Gläser Scotch mit Eis. Noch immer kein Lebenszeichen von Lydia. Nachdem sie ihrem gereizten Magen ihre abendliche Dosis an Pillen verabreicht hatte, setzten sie sich mit einer Schüssel Popcorn und einer SchaleSchoko-Toffees zusammen auf die Couch und schauten sich König Lear an.
    John weckte sie auf der Couch. Der Fernseher war ausgeschaltet, und das Haus war dunkel. Sie musste vor dem Filmende eingeschlafen sein. Sie konnte sich sowieso nicht mehr an das Ende erinnern. Er brachte sie die Treppe hoch in ihr Schlafzimmer.
    Sie stand an ihrer Seite des Betts, eine Hand fassungslos auf den Mund gepresst, Tränen in den Augen, und alle Sorge war aus ihrem Magen und ihrem Kopf vertrieben. Lydias Tagebuch lag auf ihrem Kopfkissen.

    »Entschuldigt die Verspätung«, sagte Tom, als er zur Tür hereinkam.
    »Okay, Leute, jetzt, wo Tom hier ist, haben Charlie und ich eine Neuigkeit für euch«, sagte Anna. »Ich bin in der fünften Woche schwanger mit Zwillingen!«
    Auf Umarmungen und Küsse und Glückwünsche folgten aufgeregte Fragen und Antworten und Unterbrechungen und noch mehr Fragen und Antworten. Je mehr ihre Fähigkeit nachließ, bei komplexen Unterhaltungen mit vielen Gesprächsteilnehmern dem zu folgen, was gesagt wurde, desto sensibler wurde Alice für das, was nicht gesagt wurde, für die Körpersprache und unausgesprochene Gefühle. Sie hatte dieses Phänomen vor ein paar Wochen Lydia erklärt, die ihr gesagt hatte, das sei eine Kunst, um die ein Schauspieler sie beneiden würde. Sie hatte erklärt, sie und andere Schauspieler müssten ihre äußerste Konzentration aufbieten, um sich von der verbalen Sprache zu lösen, um aufrichtig berührt von dem zu sein,

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