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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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Hause alles in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Was ist dann los mit dir? Kann es sein, dass du zu viel Stress hast oder depressiv bist?«
    »Nein, das ist es nicht.«
    »Es ist mir ein bisschen unangenehm, dich das fragen zu müssen – aber hast du vielleicht ein Problem mit Alkohol oder Drogen?«
    Jetzt hatte sie genug gehört. Ich kann nicht mit dem Ruf leben, eine depressive, gestresste Süchtige zu sein. Da werde ich ja als Demenzkranke weniger stigmatisiert .
    »Eric, ich habe Alzheimer.«
    Seine Miene gefror. Er war darauf gefasst gewesen, von Johns Untreue zu hören. Er war bereit, ihr den Namen eines guten Psychiaters zu nennen. Er war darauf vorbereitet, sichum eine Intervention zu kümmern oder sie für einen Entzug ins McLean Hospital einweisen zu lassen. Aber darauf war er nicht vorbereitet.
    »Es wurde im Januar diagnostiziert. Die Lehre ist mir im letzten Semester durchaus schwergefallen, aber mir war nicht bewusst, wie deutlich es sich bereits bemerkbar gemacht hat.«
    »Es tut mir leid, Alice.«
    »Mir auch.«
    »Damit hatte ich nicht gerechnet.«
    »Ich auch nicht.«
    »Ich hatte etwas Vorübergehendes erwartet, etwas, worüber du hinwegkommen würdest. Aber das hier ist kein vorübergehendes Problem.«
    »Nein, das ist es nicht.«
    Alice sah, wie er nachdachte. Er war für jeden an diesem Institut wie ein Vater, fürsorglich und wohlmeinend, aber auch pragmatisch und streng.
    »Die Eltern bezahlen hier inzwischen vierzig Riesen im Jahr. Das würde bei ihnen nicht sehr gut ankommen.«
    Nein, das würde es gewiss nicht. Sie blätterten nicht astronomische Summen dafür hin, dass ihre Söhne und Töchter von einer Alzheimer-Kranken unterrichtet wurden. Sie konnte den Aufschrei schon hören, den Skandal in den Abendnachrichten.
    »Außerdem fechten ein paar Studenten aus deinem Kurs ihre Noten an. Ich befürchte, das würde nur noch eskalieren.«
    In den fünfundzwanzig Jahren ihrer Lehrtätigkeit hatte noch nie jemand eine Note angefochten, die sie gegeben hatte. Nicht ein einziger Student.
    »Ich denke, du solltest vermutlich nicht mehr unterrichten, aber ich möchte deine zeitlichen Vorstellungen respektieren. Hast du einen Plan?«
    »Ich hatte gehofft, dieses Jahr noch zu bleiben und dannmein Forschungsjahr zu nehmen, aber mir war nicht bewusst, welchem Ausmaß meine Symptome bereits erkennbar sind und meine Lehre beeinträchtigen. Ich will keine schlechte Dozentin sein, Eric. Das bin ich nicht.«
    »Ich weiß. Wie wär’s mit einer Krankschreibung, die dann in dein Forschungsjahr übergehen würde?«
    Er wollte sie jetzt sofort raushaben. Sie hatte beispielhafte Verdienste in Forschung und Lehre vorzuweisen, und was noch wichtiger war, sie hatte eine Festanstellung. Juristisch gesehen konnten sie sie nicht feuern. Aber so wollte sie mit dieser Sache nicht umgehen. Sie wollte ihre Karriere in Harvard zwar nicht aufgeben, aber ihren eigentlichen Kampf führte sie gegen die Alzheimer-Krankheit, nicht gegen Eric oder die Harvard-Universität.
    »Ich bin noch nicht bereit zu gehen. Aber auch wenn es mir das Herz bricht, gebe ich dir recht, dass ich mit der Lehre aufhören sollte. Aber ich würde Dan gern weiterhin betreuen, und ich würde auch künftig gern an Seminaren und Besprechungen teilnehmen.«
    Ich bin keine Dozentin mehr.
    »Ich denke, dafür können wir eine Lösung finden. Aber ich möchte, dass du mit Dan sprichst und ihm erklärst, was los ist, und die Entscheidung ihm überlässt. Ich bin gern bereit, dabei eine Vermittlerrolle zu übernehmen, wenn einer von euch beiden sich damit wohler fühlt. Und du solltest natürlich keine neuen Forschungsstudenten annehmen. Dan wird der letzte sein.«
    Ich bin keine Wissenschaftlerin mehr.
    »Du solltest vermutlich keine Einladungen mehr annehmen, um an anderen Universitäten oder auf Konferenzen Vorträge zu halten. Es wäre vermutlich keine gute Idee, wenn du Harvard in dieser Eigenschaft vertrittst. Mir ist aufgefallen, dass du fast nicht mehr reist, daher hast du das wohl selbst schon erkannt.«
    »Ja, da gebe ich dir recht.«
    »Wie willst du die Verwaltung und die Leute hier am Institut davon in Kenntnis setzen? Auch hier respektiere ich deine zeitlichen Vorstellungen – was immer du tun willst.«
    Sie würde mit der Lehre, der Forschung, den Reisen und den Vorträgen aufhören. Die Leute würden es mitbekommen. Sie würden spekulieren und flüstern und tratschen. Sie würden denken, sie sei eine depressive, gestresste Süchtige. Manche dachten es

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