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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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als sie?
    Liebe Mary, liebe Cathy, lieber Dan,
    mein Name ist Alice Howland. Ich bin 51 Jahre alt, und im letzten Jahr wurde bei mir die früh einsetzende Alzheimer-Krankheit diagnostiziert. Ich war fünfundzwanzig Jahre lang Professorin für Psychologie an der Harvard-Universität, habe meine Tätigkeit aber in diesem September aufgrund meiner Symptome im Wesentlichen aufgegeben.
     
    Jetzt bin ich zu Hause und fühle mich mit dieser Sache sehr allein. Ich habe Denise Daddario im MGH wegen Informationen zu einer Selbsthilfegruppe für an früh einsetzender Demenz Erkrankte angerufen. Es gibt dort nur eine Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige, keine für uns. Aber sie hat mir Ihre Namen gegeben.
     
    Ich würde Sie alle gern zu Tee, Kaffee und einem Gespräch an diesem Sonntag, 5. Dezember, um 14.00 Uhr bei mir zu Hause einladen. Ihre pflegenden Angehörigen sind ebenfalls herzlich willkommen, wenn Sie möchten. Beiliegend finden Sie meine Adresse und eine Wegbeschreibung.
     
    Ich freue mich darauf, Sie kennenzulernen.
    Alice
    Mary, Cathy und Dan. Mary, Cathy und Dan. Dan. Dans Doktorarbeit. Er wartet auf meine Korrekturen . Sie ging zurück zur Wohnzimmercouch und schlug Dans Doktorarbeit auf Seite sechsundzwanzig auf. Das Rosa schoss ihr buchstäblich in den Kopf. Ihr Kopf schmerzte. Sie fragte sich, ob schon jemand geantwortet hatte. Sie ließ Dans Dingsda liegen, bevor sie den Gedanken auch nur zu Ende geführt hatte.
    Sie klickte ihr Posteingangsfach an. Nichts Neues.
     
    Piep, piep.
     
    Sie nahm das Telefon ab.
    »Hallo?«
    Freizeichen. Sie hatte gehofft, es würde Mary, Cathy oder Dan sein. Dan. Dans Doktorarbeit .
    Wieder auf der Couch, sah sie gebannt und aktiv aus mit dem Textmarker in ihrer Hand, aber ihre Augen konzentrierten sich nicht auf die Buchstaben auf der Seite. Stattdessen gab sie sich Tagträumen hin.
    Konnten Mary, Cathy und Dan noch sechsundzwanzig Seiten lesen und verstehen und sich an alles erinnern, was sie gelesen hatten? Was, wenn ich die Einzige bin, die glaubt, dass der Teppich in der Diele ein Loch ist? Was, wenn sie die Einzige war, die derart abbaute? Sie konnte spüren, wie sie abbaute. Sie konnte spüren, wie sie in dieses demente Loch abrutschte. Allein.
    »Ich bin allein, ich bin allein, ich bin allein«, stöhnte sie und sank jedes Mal tiefer in die Wahrheit ihres einsamen Lochs, wenn sie ihre eigene Stimme die Worte sagen hörte.
     
    Piep, piep.
     
    Die Türklingel riss sie aus ihren Gedanken. Waren sie hier? Hatte sie sie für heute eingeladen?
    »Augenblick!«
    Sie wischte sich die Augen mit den Ärmeln ab, fuhr sich mit den Fingern durch ihr verfilztes Haar, während sie zur Tür ging, holte einmal tief Luft und machte auf. Es war niemand da.
    Auditorische und visuelle Halluzinationen waren für etwa die Hälfte der Menschen mit der Alzheimer-Krankheit eine Realität, aber bis jetzt hatte sie das noch nicht erlebt. Oder vielleicht doch. Wenn sie allein war, konnte sie im Grunde kaum sagen, ob das, was sie erlebte, Realität oder ihre Realität mit Alzheimer war. Es war nicht so, dass ihre Orientierungslosigkeit, ihre Konfabulationen, Sinnestäuschungen und all die anderen dementen Dingsdas mit leuchtendem Rosa angestrichen waren, deutlich zu unterscheiden von dem, was normal, wirklich und zutreffend war. Aus ihrer Perspektive konnte sie den Unterschied einfach nicht erkennen. Der Teppich war ein Loch. Das Geräusch war die Türklingel.
    Sie sah noch einmal in ihr Posteingangsfach. Eine neue E-Mail.
    Hi, Mom,
    wie geht es dir? Bist du gestern zu deinem Lunch-Seminar gegangen? Bist du laufen gewesen? Mein Unterricht war toll, wie immer. Ich
hatte heute wieder ein Vorsprechen, für einen Bank-Werbespot. Wir werden sehen. Wie geht es Dad? Ist er diese Woche zu Hause? Ich weiß, dass der
letzte Monat schwer war. Halt durch. Ich komme bald nach Hause!
    Alles Liebe,
    Lydia
    Piep, piep.
     
    Sie nahm den Hörer ab.
    »Hallo?«
    Freizeichen. Sie öffnete die oberste Schublade ihres Aktenschranks, warf das Telefon hinein, hörte, wie es unter den Hunderten hängender Nachdrucke auf den Metallboden aufschlug, und schob die Schublade zu. Augenblick, vielleicht ist es mein Handy .
    »Handy, Handy, Handy«, rief sie in einem lauten Sprechgesang, während sie durch das Haus streifte, um sich das Objekt ihrer Suche gegenwärtig zu halten.
    Sie sah überall nach, konnte es aber nicht finden. Dann kam sie darauf, dass sie nach ihrer himmelblauen Handtasche suchen musste. Sie

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