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Mein Leben Ohne Gestern

Mein Leben Ohne Gestern

Titel: Mein Leben Ohne Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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das Wort HILFE und drückte auf die Returntaste.
    Sie fand Foren, Links, Unterstützungsangebote, Message-Boards und Chatrooms. Für pflegende Angehörige. Zu den Hilfethemen für pflegende Angehörige gehörten Besuche in Pflegeeinrichtungen, Fragen nach Medikamenten, Stressabbau, Umgang mit Sinnestäuschungen, Umgang mit nächtlichem Umherlaufen, Zurechtkommen mit Leugnen und Depression. Pflegende Angehörige stellten Fragen und gaben Antworten,bekundeten Mitgefühl und lösten Probleme mit ihren einundachtzigjährigen Müttern, ihren vierundsiebzigjährigen Ehemännern und ihren fünfundachtzigjährigen Großmüttern mit der Alzheimer-Krankheit.
    Was ist mit Hilfe für die Leute mit der Alzheimer-Krankheit? Wo sind die anderen Einundfünfzigjährigen mit Demenz? Wo sind die anderen Leute, die mitten in ihrer Karriere waren, als diese Diagnose ihnen den Boden unter den Füßen wegriss? Sie bestritt nicht, dass die Diagnose Alzheimer in jedem Lebensalter tragisch war. Sie bestritt nicht, dass pflegende Angehörige Hilfe brauchten. Sie bestritt nicht, dass sie litten. Sie wusste, dass John litt. Aber was ist mit mir?
    Sie erinnerte sich an die Visitenkarte der Sozialarbeiterin im Mass General Hospital. Sie fand sie und wählte die Nummer.
    »Denise Daddario.«
    »Hi, Denise, hier spricht Alice Howland. Ich bin eine Patientin von Dr. Davis, und er hat mir Ihre Karte gegeben. Ich bin einundfünfzig, und bei mir wurde vor knapp einem Jahr die früh einsetzende Alzheimer-Krankheit diagnostiziert. Ich wollte fragen, ob es im MGH vielleicht irgendeine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Alzheimer gibt?«
    »Nein, leider nicht. Wir haben eine Selbsthilfegruppe, aber nur für pflegende Angehörige. Die meisten unserer Alzheimer-Patienten wären nicht in der Lage, an einem solchen Forum teilzunehmen.«
    »Aber manche schon.«
    »Ja, aber ich fürchte, es sind nicht genügend, um die Mittel zu rechtfertigen, die erforderlich wären, um eine solche Gruppe zu gründen und in Gang zu halten.«
    »Was denn für Mittel?«
    »Na ja, im Rahmen unserer Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige treffen sich jede Woche etwa zwölf bis fünfzehn Leute für ein paar Stunden. Wir haben einen Raum zurVerfügung, bieten Kaffee und Gebäck an, ein paar Mitarbeiter fungieren als Vermittler, und einmal im Monat haben wir einen Gastredner.«
    »Wie wär’s denn einfach mit einem freien Raum, wo sich Leute mit früh einsetzender Demenz treffen und über das reden können, was wir durchmachen?«
    Ich kann den Kaffee und die Marmelade-Doughnuts mitbringen, Herrgott noch mal .
    »Dafür bräuchten wir einen Mitarbeiter in der Klinik, der es beaufsichtigt, und bedauerlicherweise haben wir im Augenblick niemanden zur Verfügung.«
    Wie wär’s denn mit einem der beiden Vermittler von Ihrer Selbsthilfegruppe für pflegende Angehörige?
    »Können Sie mir die Kontaktdaten der Patienten mit früh einsetzender Demenz nennen, die Sie kennen, damit ich versuchen kann, selbst etwas auf die Beine zu stellen?«
    »Diese Informationen darf ich leider nicht weitergeben. Möchten Sie vielleicht einen Termin vereinbaren, um mit mir zu reden? Am Freitag, den siebzehnten Dezember, hätte ich um zehn Uhr noch etwas frei.«
    »Nein danke.«

    Ein Geräusch an der Haustür weckte sie aus ihrem Nickerchen auf der Couch. Das Haus war kalt und dunkel. Die Haustür knarrte, als sie aufging.
    »Entschuldige die Verspätung!«
    Alice stand auf und ging in die Diele. Anna stand da, eine große, braune Papiertüte in einer Hand und einen Haufen Post in der anderen. Sie stand auf dem Loch!
    »Mom, es brennt ja nirgends Licht. Hast du geschlafen? So spät sollst du doch kein Nickerchen mehr halten, sonst kannst du nachts nicht schlafen.«
    Alice ging zu ihr hinüber und kauerte sich hin. Sie legte eine Hand auf das Loch. Nur dass sie dort keinen leeren Raum fühlte. Sie glitt mit den Fingern über die Wollschlingen eines schwarzen Teppichs. Ihr schwarzer Dielenteppich. Er lag seit Jahren dort. Sie schlug mit der flachen Hand so hart darauf, dass das Geräusch, das sie erzeugte, widerhallte.
    »Mom, was machst du denn da?«
    Ihre Hand brannte, sie war zu erschöpft, um die demütigende Antwort auf Annas Frage zu ertragen, und ein überwältigender Erdnussgeruch aus der Tüte widerte sie an.
    »Lass mich allein!«
    »Mom, es ist ja gut. Lass uns in die Küche gehen und zu Abend essen.«
    Anna legte die Post hin und griff nach der Hand ihrer Mutter, der Hand, die brannte.

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