Mein Leben ohne Limits
versuchte, meinen Klassenkameraden den Umgang mit mir leichter zu machen. Warst du jemals der Neue in der Schule, der einsam in der Ecke sein Pausenbrot essen musste? Und jetzt stell dir vor, dass du außerdem noch im Rollstuhl sitzt. Die ganzen Umzüge von Melbourne nach Brisbane, in die Vereinigten Staaten und wieder zurück zwangen mich geradezu in die Offensive.
Wenn ich neu in einer Klasse war, dachten die meisten zuerst, ich sei nicht nur körperlich, sondern auch geistig behindert. Sie blieben so lange auf Abstand, bis ich den Mut aufbrachte, in der Cafeteria oder im Flur ein Gespräch anzufangen. Je öfter ich das tat, desto mehr akzeptierten sie, dass ich kein Fremdkörper im Rollstuhl war.
Manchmal genügt es eben nicht, darauf zu warten, dass es von allein besser wird. Natürlich sind Wünsche gut. Träume sind gut. Hoffnung ist auch gut. Aber man muss auch etwas aus seinen Wünschen und Träumen machen! Wenn du irgendwo hinwillst, musst du dich auch dahin ausstrecken. Ich wollte, dass die Leute an meiner Schule erkennen, dass ich genauso ein Mensch war wie sie. Aber dazu musste ich mein Schneckenhaus verlassen. Als ich mich schließlich dazu durchgerungen hatte, warteten ungeahnte Erfahrungen auf mich.
Die Gespräche mit den Klassenkameraden darüber, wie ich in einer Welt, die für Arme und Beine gemacht war, zurechtkam, führten nach und nach dazu, dass ich zu Schülertreffen, Jugendgruppen und Jugendorganisationen eingeladen wurde. Nach und nach begriff ich eine zentrale Lebensweisheit. Warum bringt man uns das nicht in der Schule bei? Jeder von uns hat irgendein Talent – eine Fähigkeit, eine Gabe, ein Geschick –, das ihm Freude macht und ihn erfüllt. Der Weg zu einem erfüllten Leben liegt oft genau in diesem Talent verborgen.
Wer noch nicht weiß, was sein Talent ist, sollte eine kleine Selbsteinschätzung machen. Dazu braucht man nichts weiter als Stift und Papier oder einen Computer. Dort listet man seine Lieblingsaktivitäten auf. Welche Tätigkeit zieht dich magisch an? Was könntest du stundenlang tun? Wobei verlierst du den Blick für Raum und Zeit? Wovon kriegst du nicht genug? Und was sagen andere Leute über dich? Bewundern sie dein Organisationstalent oder deine analytischen Fähigkeiten? Wer sich nicht sicher ist, wie andere ihn einschätzen, sollte einfach einmal Familie und Freunde fragen.
Mit kleinen Hinweisen kann man seinen Weg finden. Er liegt nämlich in uns drin. Jeder von uns kommt nackt, aber extrem verheißungsvoll zur Welt. Lauter Geschenke in uns warten darauf, aufgemacht zu werden. Falls du bei deiner Selbsteinschätzung auf etwas gestoßen bist, was du selbst ohne Bezahlung den ganzen Tag machen würdest, bist du auf dem richtigen Weg. Und wenn du jetzt noch jemanden findest, der dafür bezahlt, kannst du deine „Karriere“ starten.
Meine kleinen Vorträge vor jungen Leuten waren anfangs vor allem der Versuch, ihnen zu zeigen, dass ich so war wie sie. Ich dachte dabei nur an mich und war dankbar, einmal von mir erzählen zu können und vielleicht Kontakte zu knüpfen. Das öffentliche Reden tat mir gut. Erst nach einer ganzen Weile wurde mir klar, dass auch die Zuhörer etwas davon hatten.
AUF DER BÜHNE - SPRACHLOS
Eines Tages sprach ich vor einer Gruppe von knapp dreihundert Schülern, mein größtes Publikum bis dahin. Ich erzählte von meinen Gefühlen und wie ich die Welt sah, als plötzlich etwas Eigenartiges passierte. Ab und zu schon hatte ich mitbekommen, wie Schülern oder Lehrern Tränen in den Augen standen, wenn ich von meinen alltäglichen Schwierigkeiten erzählte. Aber an diesem Tag fing plötzlich ein Mädchen hemmungslos zu weinen an. Ich hatte keine Ahnung, was dazu geführt hatte. Vielleicht hatte ich eine schlimme Erinnerung ausgelöst? Verblüfft sah ich, wie sie trotz ihrer Tränen die Hand hob, um etwas zu sagen. Mit tapferer Stimme fragte sie, ob sie nach vorn kommen dürfe, um mich zu umarmen. Wow! Ich war sprachlos.
Ich bat sie auf die Bühne. Auf dem Weg wischte sie die Tränen ab. Dann gab sie mir eine dicke Umarmung – eine der besten meines Lebens! Zu diesem Zeitpunkt hatten die meisten Leute schon feuchte Augen, inklusive mir. Aber dann flüsterte sie mir etwas ins Ohr, was mich vollständig aus dem Konzept brachte:
„Noch nie hat mir jemand gesagt, dass ich schön bin, so wie ich bin! Ich habe noch von niemandem gehört, dass er mich lieb hat. Du hast heute mein Leben verändert. Und du bist genauso ein schöner
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